Zug der Erinnerung - offener Brief aus Moabit an Hartmut Mehdorn

Der "Zug der Erinnerung" gehört auf das Bahngelände in Moabit

Offener Brief des Moabiter Ratschlag und des Stadtteilplenums Moabit West an Hartmut Mehdorn, Deutsche Bahn AG

Sehr geehrter Herr Mehdorn,

der "Zug der Erinnerung" soll nach uns vorliegenden Informationen bei seinem Halt in Moabit nicht auf dem Bahngelände nahe dem historischen Ort, dem Güterbahnhof Moabit, stehen, sondern auf landeseigenem Gelände, dem städtischen Westhafen.

Wir Moabiter Bürger/innen empfinden Ihr Verhalten gegenüber den Initiator/innen des "Zuges der Erinnerung" als eine Verhöhnung der Opfer der Shoah: Vom Güterbahnhof Moabit aus wurden mehr als 32.000 Berliner Jüd/innen in die Vernichtungslager deportiert. Der Güterbahnhof Moabit ist der bedeutendste Deportationsbahnhof Berlins, wie ein Gutachten aus dem Jahr 2006 ergeben hat.[1]

Wir finden es bezeichnend, dass sich sowohl das Deportations-Mahnmal auf der Putzlitzbrücke als auch die 2007 eingeweihte Gedenkstele in der Quitzowstraße (am Zugang zu den Deportationsgleisen 69, 81 und 82) auf öffentlichem Straßenland des Landes Berlin befinden und nicht auf Bahngelände.

Viele Institutionen, die fortdauernd tätig sind oder die direkte Nachfolge von damals tätigen Institutionen übernommen haben – beispielsweise das BKA – sind bereit, sich ihrer Geschichte während der NS-Zeit zu stellen. Warum also nicht auch die Deutsche Bahn?

Es ist bekannt, dass die Deportierten ihre Fahrt in die Vernichtungslager mittelbar selbst bezahlt haben, weil sich die gegenüber der Deutschen Reichsbahn als Kunde auftretende SS die "verauslagten" Gelder aus den eingezogenen jüdischen Vermögen zurück geholt hatte. Die zu diesem Zweck gebildete "Vermögensverwertungsstelle", die zentral die Beschlagnahme jüdischen Vermögens organisierte, befand sich ebenfalls in Moabit – direkt gegenüber des Lehrter Bahnhofs, heute Hauptbahnhof.

Und schließlich befand sich direkt an der Bezirksgrenze, in Schöneberg-Tempelhof, das "Judenreferat" Adolf Eichmanns, das die Völkermordpläne erarbeitet hatte. Grund genug also, in unserem Bezirk ein würdiges Gedenken – auch und vor allem an die vielen ermordeten Kinder – zu ermöglichen. Weder Sie persönlich noch die derzeit tätigen Eisenbahner sind in der Gefahr, als Täter beschuldigt werden zu können, dazu sind sie alle zu jung. Um so unverständlicher Ihre Weigerung des Gedenkens und der Aufarbeitung des schlimmsten Kapitals der deutschen Eisenbahngeschichte. Oder gibt es die Befürchtung, dass Informationen über ungebrochene Karrieren bekannt würden?

Wir fordern daher:

  • Lassen Sie den Zug dort halten, wo er thematisch hin gehört, nämlich auf dem Güterbahnhof Moabit und am Hauptbahnhof Lehrter Straße!
  • Erlassen Sie der Initiative "Zug der Erinnerung" sämtliche Trassen- und Stationsgebühren! Sehen Sie vielmehr diese Initiative als einen Partner der Aufarbeitung der deutschen Eisenbahngeschichte an!
  • Sorgen Sie dafür, dass auf dem Güterbahnhof Moabit endlich ein würdiges Mahnmal, ein würdiger Gedenkort, errichtet werden kann. Die Einbeziehung z.B. von Auszubildenden der DB in die Gestaltungsarbeiten eines Mahnmals und in die Sicherung der wenigen noch vorhandenen Relikte der alten "Militärrampe" (Gleis 69) wären eine Möglichkeit für einen interessanten und zukunftsweisenden Geschichtsunterricht.

Berlin, den 15. April 2008, Stadtteilplenum Moabit West Moabiter Ratschlag e.V.

[1] Schulle/Dettmer/Gottwald, Forschungsgutachten zur Geschichte des Güterbahnhofs Moabit unter schwerpunktmäßiger Berücksichtigung der Geschichte der Deportation der Berliner Juden vor den Gleisen 69, 81 und 82, im Auftrag des Bezirksamts Mitte, Berlin, April 2006

Derzeit (16.4.) ist der Halt des "Zug der Erinnerung" in Moabit am Sa/So 19. und 20. April auf dem Güterbahnhof der Behala im Westhafen geplant, die Ausstellung im Zug ist jeweils von 9-21 Uhr geöffnet. Am 17./18. April ist die Ausstellung am Fernbahnsteig im Bahnhof Schöneweide, am 21./22. April im S-Bahnhof Grunewald zu sehen.

Der Zug der Erinnerung besteht aus mehreren Waggons, in denen die Geschichte der europäischen Deportationen in beispielhaften Biografien nacherzählt wird. Schwerpunkt der Ausstellung ist das Deportationsgeschehen in Deutschland: die Zustellung der Deportationsbescheide, das Herrichten und Verlassen der Wohnungen, der Weg zu den Sammellagern und von dort am helllichten Tag durch die Dörfer und Städte zu den wartenden Zügen.

In einem eigenen Ausstellungsbereich werden mehrere Täter der unterschiedlichen Funktionebenen vorgestellt: Vom Reichsverkehrsministerium über die SS bis hin zu den Logistikplanern der Reichsbahn, die für den Transport der todgeweihten Kinder und Jugendlichen in die Vernichtungslager sorgten. Mehrere dieser Spezialisten setzten ihre Bahnkarrieren in der Nachkriegszeit fort.

Gedenkstele in der Quitzowstraße

Am Ende des zweiten Waggons hängen die noch leeren, durch die Recherche von Schulen und anderen Organisationen zu füllenden Tafeln mit den Fotos und Biographien einzelner Kinder aus den Gemeinden und Städten entlang der Fahrstrecke.

Der Zug der Erinnerung hält auch eine Rechercheneinheit bereit: Computer und Handbibliothek laden zur Spurensuche ein. Hier besteht die Möglichkeit, über die Ausstellung zu sprechen und Erfahrungen auszutauschen.

Eine Gedenkstele in der Quitzowstraße kennzeichnet den Weg zur früheren Deportationsrampe des Güterbahnhofs Moabit.

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