Wohnungslosentagesstätte "Warmer Otto" schließt heute - im November!

Vor einer Woche erreichte uns eine abfotografierte Pressemitteilung der "Arbeitsgemeinschaft Berliner Wohnungslosentagesstätten" (AGBW) mit Unterschriftenliste gegen die plötzliche Schließung des Warmen Otto in der Wittstocker Straße 7. Hierin heißt es: „dass die kurzfristige Schließung für unzählige Stammgäste den Verlust eines Stücks Heimat bedeutet ... Hunderte von Betroffenen haben eine Postadresse im ,Warmen Otto'. Bei einer so kurzfristigen Schließung könnten Änderungen der Postadresse (zum Beispiel bei Jobcentern, Sozialämtern, Krankenkassen etc) nicht umgesetzt werden.“ Die Einrichtung existiert seit 38 Jahren, wenn auch nicht immer an diesem Ort. Es gibt lang gewachsene Beziehungen zu den Sozialarbeiter*innen. Neben der Beratung gibt bzw. gab es die Möglichkeit zu duschen, Wäsche zu waschen und - sehr wichtig - die Postfächer.
Wir versuchten konkretere Informationen zu erhalten, konnten allerdings die Pressemitteilung der Berliner Stadtmission vom gleichen Tag noch nicht auf deren Webseite finden. Mittlerweile haben der Tagesspiegel, moabit.net, die TAZ und das Neue Deutschland (mit gutem Kommentar) berichtet. Trotz Protesten schließt die Berliner Stadtmission die Einrichtung tatsächlich heute. Lediglich zwei Stunden täglich soll noch geöffnet werden um den Zugang zu den Postfächern sicher zu stellen. Weitere Angebote werden komplett eingestellt. Auch das Bezirksamt Mitte hat heute mit einer Pressemitteilung reagiert. Zur Zeit findet in den Räumen eine Diskussion von Wohnungslosen mit Frau Eidt von der Stadtmission statt. Einige Wohnungslose haben angekündigt die Räumlichkeiten zu besetzten. Die Inhalte der Diskussion versuchen wir in den nächsten Tagen hier zusammenzufassen. (UPDATE: das erscheint uns nicht mehr notwendig, s. Kommentare)
Jetzt dokumentieren wir an dieser Stelle die Pressemitteilung der Besucher und Nutzer des Warmen Ottos in vollem Wortlaut:
"Keine Schließung der Wohnungslosentagesstätte Warmer Otto in Berlin Moabit
Die Besucher sind verzweifelt und wütend über die Schließung des Warmen Ottos und wenden sich hiermit an die Öffentlichkeit

Vor wenigen Tagen haben wir, die Besucher des Warmen Ottos, erfahren, dass die Einrichtung schon am Freitag [Anm.: heute, 12.11.21] schließen soll.
Weder wurden die Zuwendungen vom Bezirksamt Mitte gestrichen noch der Mietvertrag gekündigt. Genauso weinig fehlt es an Personal, es wurde vor kurzem sogar Personal abgezogen. Die Berliner Stadtmission (SM), der Träger des Warmen Ottos, behaupten sie muss schließen, da die Räumlichkeiten "den gewachseneren fachlichen und rechtlichen Anforderungen nicht mehr gerecht werden".
Tatsächlich sind die Räumlichkeiten nicht super optimal. Die Räume befinden sich aber seit vielen Jahren mehr oder weniger im gleichen Zustand und nicht erst seit Tagen oder Wochen. Das Argument für die Schließung ist an den Haaren herbei gezogen!
Vielleicht ist der Grund, dass sich im Gegensatz zu anderen von der Stadtmission betriebenen sozialen Einrichtungen kein Geld verdienen lässt? Wir wissen es nicht.
Die SM hat mitgeteilt, dass der Warme Otto bald an einem anderen Ort öffnen soll. Als ein möglicher Standort wurde der Alexanderplatz genannt. Der neue Laden muss also erst gefunden werden und dann auch noch hergerichtet werden. Dies wird wenigstens Moante dauern. Auch wollen die meisten von uns nicht zum Alex umziehen. Dieser ist weit weg und ein aggressiver Brennpunkt.
Die SM macht ständig Werbung mit uns Wohnungslosen und nimmt jährlich damit hunderttausende Spenden ein. Letztendlich scheinen aber die Wohnungslosen die Berliner Stadtmission nicht zu interessieren. WEder wurden die Nutzer des Warmen Ottos wegen der Schließung befragt noch in die Planung mit einbezogen. ERst wenige Tage vor der Schließung wurden wir vor vollendete Tatsachen gestellt.
Wir haben nichts gegen einen neuen Standort und bessere Räumlichkeiten. Eine Aufgabe des Standortes kann aber erst erfolgen, wenn ein neuer Ort zur Verfügung steht.
Seit fast 40 Jahren gibt es den Warmen Otto. Für viele von uns in der Warme Otto ein Zuhause. Hier ist unser Ort zum Ausruhen. Hier treffen wir Freunde. Hier schützen wir uns tagsüber vor der Kälte. Hier werden wir versorgt. Hier können wir duschen. Hier können wir Wäsche waschen. Hier erhalten wir Hilfe und Tipps. Hierher erhalten wir unsere Post. Eine Schließung trifft uns hart.
Die Besucher sind über das verantwortungslose Vorgehen der SM empört und haben schon einige hundert Protestunterschriften gesammelt.
Wir, die Besucher und Nutzer der Wohnungslosentagesstätte, fordern den uneingeschränkten Weiterbetrieb des Warmen Ottos!!!
Ein Standortwechsel kann nicht auf Kosten der wohnungslosen Besucher erfolgen. Bis zum Umzug des Warmen Ottos an einen anderen Ort, ist die Arbeit am alten Standort aufrecht zu erhalten!
Sollte die Berliner Stadtmission den Betrieb des Warmen Ottos nicht aufrechterhalten wollen bzw. können, ist die Einrichtung samt Räumen an einen anderen Träger zu übergeben!"
Eine Unterschriftenliste zum Download stellen wir hier zur Verfügung.

Nachtrag:
Michael Rannenberg (Pfarrer im Ruhestand) protestiert mit einem Leserbrief in der TAZ gegen die Schließung und berichtet interessantes über die Anfänge des Warmen Otto (s. Kommentar 13). Er hat uns ein Foto des ersten Ladens geschickt.
"Manchmal empfindet mn es als alter Knacker als eine Zumutung, immer noch nicht gestorben zu sein. So eging es mir beim Lesen eures betrüblichen Artikels: Warmer Otto kaltgesstellt!
Denn ich habe als junger Pfarrer Ende 1982 nach lauten Notrufen der „Nichtsesshaftenhilfe“ Levetzowstraße den Gemeindekirchenrat der Heilandsgemeinde 1983 für die spontane Einrichtung einer Wärmestube gewonnen und dann eingerichtet und aufgebaut.
Es war abenteuerlich: In der Ottostraße schräg gegenüber von unserem Gemeindehaus stand noch eines der letzten verfallenen Trümmerhäuser im Bezirk. Das EG und die erste Etage waren intakt geblieben. Der inzwischen sagenhafte Immobilienspekulant Franke wollte das Gebäude abreißen, aber dank seiner „einmaligen“ Güte konnte ich ihn zur Elaubnis überreden, dass wir in dem unten leerstehenden Ladenräumen des ehemaligen „Sargmagazins“ einen gemeindlichen Treffpunkt für die
nächsten Monate bis zum Abriss einrichten durften.
Zum Jahresbeginn 1983 hatte sich eine Ehrenamtsgruppe vo ca. 8 Frauen und Männern gebildet, renovierte und richtete die Räume ein. Fast wäre die Initiative noch am Eröfnungstag gescheitert, denn der Schornsteinfeger durfte die Räme erst freigeben, nachdem der Kaminabzug bis rauf in den 4. Trümmerstock auf Dichtigkeit überpüft war, nur er war nicht über den 1. Stock hinausgelangt, denn der weitere Aufstieg war verbarrikadiert. Aber eine Wärmestube ohne Ofen das ging gar nicht. Da erschien unser praktischer Küster Jürgen H. mit Axt und Säge und „haute“ den Zugang frei, so dass der Schornsteinfeger seine nun mit abenteulicher Kletterei verbundene Kontrollpflicht erfüllte und wir starten konnten.
Diese Erzählung erklärt, wie der Warme Otto zu seinem Namen gekommen ist: Der Ursprung des WO liegt in einem aufgegebenen Kartoffelladen neben einem Sarglager in der Ottostraße.
Das Besondere dieser Geschichte: Der Wame Oto ist die allererste Wärmestube für Obdachlose, die nach 1933 in Berlin eingerichtet wurde. Von Anfang an hatte sie regen Zulauf und das Entsetzen war groß, als wir im Juni 1983 schon wieder mit einem kleinen Otto – Straßenfest schließen mussten.
Es gelang mir nach zäher Suche in den folgenden Monaten einen neuen Laden in der Waldstraße aufzutreiben, was auch damals schon sehr schwierig war. So eröffneten wir im November 1983 den ersten professionellen Wärmestubenbetrieb, vom Senat mit einer Sozialarbeiterstelle gefördert. Ich habe dann um die Sechstage-Öffnung zu erreichen, zäh um weitere Stellen gekämpft. Fast wie ein Wunder erschien es mir, dass dann bis 1986 der Senat jedes Jahr eine halbe Stelle mehr bewilligte, weil sie den großen Bedarf anerkannten und die gemeindlich getragene Arbeit als förderungsfähig beurteilten. Schließlich waren fünf Mitarbeiterinnen auf vier Vollstellen tätig. Anfang der Neunziger zogen wir wieder um in einen noch geräumigeren und sanitär beser augestattenen Laden in der Bugenhagenstraße.
Aber Ende der Neunziger wurde die Finanzlage Berlins und erst Recht die der Evangelischen Kirche hoch problematisch. Alle Gemeinden wurden zum radikalen Stellenabbau gezwungen.
„Von oben“ warnte man uns, wenn der Senat jetzt z.B. die Finanzierung eines schon jahrelangen Stelleinhabers einstellen würde, dürften wir den nicht kündigen sondern müssten weiter beschäftigen. Also die akute Gefahr bestand, dass die Gemeinde nach harter Mittelstreichung des Senats „pleite“ gehen könnte.
Daher traten wir in Verhandlungen mit der Stadtmission ein und sie beschloss bald die Übernahme der Einrichtung.
Ca. 20 Jahre betreiben sie nun die Wärmestube, die am Anfang des 3. Jahrtausends in den von der Lage her noch geeigneteren Beusselkiez umzog und ununterbrochen hoch frequentiert ist.
Mir ist unverständlich wie eine soziale Großorganisation wie die Berliner Stadtmission mit vermutlich hunderten (?) Angestellten es nicht schaffen kann, diese in Moabit ältste und notwendigste Einrichtung der Obdachlosenhilfe offen zu halten. Wenn angeblich auch im Moment niemand für die Neubesetzung von Sozialarbeiterstellen anzuwerben ist, dann gehört es doch zur Kernkompetenz der Stadtmission in Notlagen mit Hilfe Ehrenamtlichen und phantasievollen Provisorien zu überbrücken.
Ich appelliere an die Berliner Stadtmission, dass sie sich besinnt und wenigstens für den kommenden Winter eventuell in Kooperation mit Moabiter Kirchengemeinden eine Übergangslösung für die Offenhaltung des Warmen Ottos in Moabit erfindet und managet.
Michael Rannenberg (Pfarrer im Ruhestand)"