"Wohnen am Bellevue" - schöne Aussichten nicht für alle!

Seit knapp einem Jahr haben sich Mieterinnen und Mieter aus verschiedenen Häusern in der Melanchthon- und Calvinstraße getroffen um sich gemeinsam gegen Mieterhöhungen, überhöhte Nebenkostenabrechnungen, Verdrängung, Baulärm, Repressalien und Prozesse ihres Hauseigentümers Terrial GmbH  zu wehren.

Am 1. September fand ein Aktionstag vor der Calvinstraße 21 statt. Aus diesem Haus sind bereits einige Mietparteien vertrieben bzw. rausgekauft worden. Doch die anderen wehren sich, sie wollen sich nicht verdrängen lassen. Mieter/innen waren mit Transparenten auf der Straße, die für zwei Stunden gesperrt war. Auch das Haus war entsprechend  "geschmückt". Thomas Isenberg (MdA) und Dr. Günter Möstl, Physiker aus Potsdam, hielten Reden. Sie forderten die Bewohner/innen auf, sich nicht einschüchtern und vertreiben zu lassen - niemand dürfe sie aus ihren Wohnungen verjagen, weil Spekulanten maximale Gewinne erzielen wollen. Gesangdarbietungen der in der Nachbarschaft wohnenden Sängerin Kim Seligsohn lockerten die Veranstaltung auf.  Die Anwohner des Hauses halten jetzt regelmäßig engen Kontakt und werden in ihren Aktivitäten auch von vielen Anwohnern unterstützt. Für die Zukunft ist an die Einrichtung einer regelmäßigen Mahnwache gedacht, zumal weitere Anwohner/innen und Passant/innen sehr positiv auf die Aktion reagierten.

Zum Hintergrund:
Bereits 2008 wurden zwei Häuser in der Melanchthonstraße, die 17 und 18, saniert und um zwei Geschosse aufgestockt, wie auf der Webseite der Statiker zu lesen ist. Die Mieter/innen berichten allerdings, dass die Umbauten bereits Ende 2006 begannen, angekündigt als Einsetzung neuer Fenster und Wärmedämmung, von Aufstockung war keine Rede gewesen.  Mehrere Mieterhöhungen wurden vom Berliner Mieterverein als unbegründet zurückgewiesen. Die Häuser sind 1963 als sozialer Wohnungsbau errichtet und jahrzehntelang von einer Stiftung vermieten worden. Ein früherer Eigentümer hatte nur eine Baugenehmigung für die Aufstockung um ein Geschoss erhalten. Weiter schreibt die Thilo Weischedel Ingenieure GmbH, dass aus Gewichtsgründen Decken aus Holz oder (wegen Brandschutz) aus Stahlbeton eingebaut wurden. Einige Mieter/innen klagen seitdem über knackende Geräusche in den Wänden. Außerdem wurden einzelne Fenster zugemauert oder eines Tages einfach eine Betonplatte direkt davor gesetzt. Das betraf im Haus Melanchthonstraße 17 auch etliche neue Fenster, die man seitens der Eigentümer erst wenige Monate zuvor eingebaut hatte. 2010 wurde mit der Aufstockung des Hauses Calvinstraße 20 begonnen. Hier schreiben die Statiker, dass sie eine spezielle Lastenabtragung vornehmen mussten und das Fundament durch Hochdruckinjektion verstärkt werden musste.

Auf das Eckgrundstück Melanchthon-/ Calvinstraße wurde ein Neubau mit 21 Wohnungen, einer Gewerbeeinheit und Tiefgarage in Energiesparbauweise gesetzt (s. Architekturbild - das Bild wurde entfernt, das Haus daneben ist die Calvinstraße 21). Laut Webseite der Architektin Schneider-Neudeck sollte das Projekt "Stadtwohnen am Bellevue" eigentlich schon im Dezember 2009 fertig sein. Die hochwertigen Wohnungen der  Melanchthonstraße 16 und Calvinstraße 20  werden bei Immoscout zur Zeit zu Quadratmeterpreisen zwischen ca. 3.200 und 5.200 Euro/qm angeboten. Geworben wird mit luxuriöser Ausstattung, liegengerechtem Fahrstuhl direkt aus der Tiefgarage auf die eigene Loggia, Parkett, Fußbodenheizung, hochwertigen Armaturen, herrlichem Rundblick, Videoüberwachung und was man sich noch so alles vorstellen kann. Als Krönung das Penthouse mit "allen Vorrichtungen für outdoor cooking".  Im Innenhof soll ein Skulpturengarten mit Gräsern und Bambus angelegt werden. Das mag vielleicht den neuen Eigentümern gefallen, die Mieter/innen der angrenzenden Häuser haben jedoch eine grüne Oase verloren. Für die Tiefgarage wurden die von den Hausbewohnern angelegten Gärten zerstört, Bäume gefällt und einige alte Fliederbüsche gerodet. Auch drei Straßenbäume mussten dem Neubau weichen. Die Rückseite eines Gebäudes war mit Efeu bewachsen, sie wurde erst entgrünt und dann weiß gestrichen. Seither blicken die Bewohner/innen auf eine Betonfläche, auf der sich Baumaterialien befinden.

Viele Mieter/innen hatten wegen jahrelangem Baulärm die Miete gemindert. Gegen diese führt der Eigentümer, Herr Stach, nun Prozesse. Er kündigte fristlos wegen Mietminderung, selbst Mieter/innen, die schon viele Jahre, zum Teil Jahrzehnte in den Häusern wohnen. Es gibt vielfältige Probleme der einzelnen. Das macht die gemeinsame Organisation nicht einfach. (Und so soll die Häuserreihe in der Calvinstraße mal aussehen, von links nach rechts: Melanchthonstr. 16, Calvinstr. 21 - 19, auch dieses Bild wurde entfernt).

Zum Schluss noch der Link zu einer schon etwas älteren Sendung aus dem Regionalfernsehen "Mieter unter Psychodruck".

Wir bedanken uns für Informationen und Fotos bei der Mieterinitiative und für die Erlaubnis zur Verwendung der Architekturbilder bei Frau Schneider-Neudeck.

Nachtrag vom 13.1.2012

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Heute kam das Schreiben eines Rechtsanwalts wegen unberechtigter Verwendung urheberrechtlich geschützter Bilder. Wir bei MoabitOnline beachten das Urheberrecht, deshalb hatte ich vor der Veröffentlichung des Artikels mit der Architektin telefoniert und sie hatte mir die Erlaubnis zur Verwendung der Architekturbilder gegeben, aber wer kann schon Telefongespräche beweisen. Deshalb wurden die Bilder aus dem Artikel entfernt.

Tagesspiegel - tolle Reportage über die Calvinstraße 21: "Gegen die Wand".

Zwei neue MoabitOnline-Artikel zur Calvinstraße 21: Die letzen Mohikaner? und Fahrstuhl weg, Keller zu!

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