Wie war die Arbeit in der Paech-Brot-Fabrik?

Ursula Goerke und Helga Szelagowicz berichten
Ursula Goerke und Helga Szelagowicz haben seit den 60er Jahren bis 1992 in der Paech-Brot-Fabrik zwischen Birken- und Stephanstraße gearbeitet. Seitdem treffen sie sich regelmäßig mit zehn weiteren Kolleginnen zweimal im Jahr zum Kaffeekränzchen.
Die Brotfabrik wurde nach langen Jahren Leerstand abgerissen, dann lag das Gelände lange brach. Nur der große Schornstein stand allein auf weiter Flur bis zum Baubeginn im Herbst 2008. Morgen um 7 Uhr eröffnet das E-Center, obwohl man es angesichts der noch zu erledigenden Bauarbeiten kaum glauben mag. Im BürSte-Laden – damals war dort ein Zigarettenladen - erzählen die beiden Damen, wie es damals so war - die Arbeit bei Paech in der Schnittbrotproduktion. Das Gespräch aufgezeichnet hat Susanne Torka.

„Flocken“ hieß der Brotwagen, auf dem im Keller die heißen Brote abkühlem mussten, bevor sie in die Schnittbrotabteilung kamen. Jedes Brot war etwa 1,5 Meter lang und entsprechend schwer. Rosi, eine Kollegin, an die sich beide gut erinnern, hat alleine drei Schneidemaschinen belegt, alles in Handarbeit. Danach schob die Wiegerin das abgeschnittene Brot aufs Band zur Verpackungsmaschine, wo es in Pfund- oder Halbpfundpakete verpackt wurde. Ein Pfund waren 9 Scheiben, jedenfalls meistens. Das hatten die Frauen nach einiger Übung ganz gut im Griff. Doch sie mussten sich je nach Brotsorte auch immer wieder umstellen. Es gab Tiefenfurter, Wikinger, Schinken, Uckermärker, Münsterländer, Kommiss, Hausfreund, Leinsamen, Festtagsbrot und noch einige mehr. Die Brote wurden in verschieden dicke Scheiben geschnitten. An den Maschinen und am Fließband wurden die meisten Arbeitsgänge mit der Hand gemacht. Eine Arbeiterin stellte die Pakete auf‘s Laufband, eine andere klebte das Klebeband oben um die Tüten herum und die Packerin räumte die fertigen Brotpakete in den Brotkorb ein.
Die Abfallscheiben wurden getrocknet, gerieben und dann wieder in den Teig gerührt. Selbstverständlich wurden Reste auch als Viehfutter oder für die Schnapsbrennerei verwertet. Eine Frau musst immer im Keller beim Teig arbeiten, an diesem Arbeitsplatz war es besonders laut. Fahrer, Schlosser oder Vorarbeiter waren Männer, die wurden doch besser bezahlt.
Helga Szelagowicz hat 1964 angefangen in der Paech-Brot-Fabrik, immer Frühschicht von 5 bis 9 Uhr, sie wohnte ganz in der Nähe, hatte eine kleine Tochter (geb. 1961). Als plötzlich die Schwiegermutter starb, wurde es schwierig, doch Martina war ein pflegeleichtes Kind. Der erste Wecker klingelte zum Aufstehen, der zweite zum Losgehen. 1966 zog die Familie nach Reinickendorf. Nach der Scheidung kam sie mit iherer Tochter aber wieder zurück nach Moabit in die Salzwedeler Straße, arbeitete später auch ganztags, 8 Stunden täglich.

Ursula Goerke fing 1970 in der Brotfabrik an, arbeitete aber regelmäßig nicht länger als 5 Stunden am Tag. Zur Arbeit musste sie nur über den Damm gehen. Sie wohnt heute noch mit ihrem Mann in dem 60er-Jahre-Neubau an der Stephanstraße, hatte aus ihrem Wohnzimmerfenster den direkten Blick auf die Fabrik, später auf die Ruine, auf die Brachfläche und blickt jetzt auf die Baustelle. 1993, als die Produktion in Moabit aufgegeben und nach Bernau verlagert wurde, war für die meisten Arbeiterinnen Schluss. Sie hätten alle in Bernau weiterarbeiten sollen. Aber nur wenige nahmen das Angebot an, denn dort waren Wechselschichten Pflicht. Die Fabrik in Bernau soll Wendeln, dem damals schon die Paech-Brot-Fabrik gehörte, nach der Wende günstig bekommen haben, weil er 200 Arbeiter mitübernommen hat. Helga Szalgowicz ist mal hingefahren und hat sich die Fabrik angesehen. In der Kantine saßen die Gruppen nach Ost und West getrennt. Neid und Mißgunst waren durch die unterschiedlichen Löhne für Ost- und West-Arbeiterinnen vorprogrammiert.
Ursula Goerke sagt, sie hätte das Gefühl im letzten Jahr nur Fliesen geputzt zu haben. Ihr letzter Arbeitstag war der 31.12.1992, danach ging sie in Rente. Ende der 90er Jahre wurde noch einmal eine „Straße“ der Backstube zur Herstellung von Billigbrot in Betrieb genommen, da reichten die Kapazitäten in Bernau wohl nicht aus. Helga Szelagowicz arbeitete dann sogar noch einmal ein Jahr bis auch sie 1999 mit 60 Jahren in Rente ging.

Beide erinnern sich ausgesprochen gerne zurück: „Wir haben gutes Geld verdient!“ Sie durften die übriggebliebenen Kanten essen, Butter und Schmalz wurden mitgebracht, auf dem Hof gab es Kakao für alle. An den Chef erinnern sie sich mit Schmunzeln. Eberhard Paech kam manchmal zwischendurch mit seinem roten Mercedes vorbei, um nach dem rechten zu sehen. Im Sommer kam er vom Schwimmen und hängte seine Badehose an der Autoantenne zum Trocknen auf. Wenn nicht aufgeräumt war, hat er selbst die „Flocken“ geschoben und jede Scheibe Brot, die auf dem Boden lag, aufgehoben. Wenn viel zu tun war, kam es auch vor, dass Arbeiterinnen, die in der Nähe wohnten angerufen wurde, nochmal zu kommen. Sie haben auf Leistung gearbeitet, sich gegenseitig angespornt. Dann gab es Arbeitsprämien. Ursula Goerke und Helga Szelagowicz sind immer gerne zur Arbeit gegangen. Mit den Kolleginnen verstanden sie sich gut. Sicher gab es auch mal Streit, aber sie haben sich immer wieder vertragen. Sonst gäbe es wohl kaum 18 Jahre später noch gemeinsame Treffen. Ein Hinweis auf den Lärm während der Arbeit, Helga Szelagowicz bewundert noch immer wie Ursula Goerke allen Kolleginnen von den Lippen ablesen konnte, was sie sagten.
Immer mal wieder wurde zwischendurch auch etwas besonderes gemacht: Bordverpflegung für Air Berlin oder eine andere Fluggesellsschaft hergestellt oder Stullen für den Marathon mit Salami belegt. Auch Feste wurden gefeiert. Das 70jährige Jubiläum der Firma wurde groß in einem Hotel irgendwo am Ku‘damm begangen. Katja Epstein hat gesungen, es muss 1976 oder 1977 gewesen sein. Die Einweihung des Paech-Brunnens 1980, mit dem sich Paech selbst ein Denkmal gesetzt hat, war ein großer Event. Arbeiterinnen hatten Tische und Stühle auf die Straße geräumt und verteilten Schmalzstullen an Passanten.
Und was denken die beiden Frauen über das E-Center, das jetzt auf dem früheren Fabrikgelände eröffnet wird? Helga Szelagowicz findet es gut, dass eine Einkaufsmöglichkeit für die vielen alten Leute, die hier keinen Laden haben, entsteht. Und Ursula Goerke hofft, dass sich die positiven Erwartungen vieler Kiezbewohner wirklich erfüllen.

Bei der heutigen VIP-Eröffnung für „besonders wichtige Personen“ haben die beiden früheren Paech-Brot-Arbeiterinnen das erste „neue“ Tiefenfurter-Brot aus dem Backofen des Edeka-Centers rausgeholt. An eine alte Tradition soll angeknüpft werden. Ob das trotz der ersten Fehler gelingt, wird sich zeigen. Edeka hat sich bei der Eröffnungsfeier jedenfalls bereits als großzügiger Sponsor von Kiez-Projekten gezeigt. So erhielten der Bürgerverein BürSte e.V. und die Kita Kleiner Frosch des türkischen Elternvereins jeweils einen Scheck über 1.000 Euro.
Nachtrag: und schließlich bekam auch der in der Rede erwähnte Moabiter Kinderhof einen Scheck über 1.000 Euro.
Fotos: Susanne Torka und privat. Das Foto von U. Goerke und H. Szelagowicz am Edeka-Backofen hat uns Rolf-Jürgen Schliebe freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Zuerst erschienen (bis auf den letzten aktuellen Absatz) in LiesSte, Zeitung für den Stephankiez, Nr. 17 Oktober 2010
Lesen Sie auch: "Männerhemden zum Kragenwenden" Wie war der Stephankiez? Bewohnerinnen erzählen
Nachtrag:
Und hier noch den Artikel in der Berliner Woche vom 16.3.11 über das Treffen der Paechbrot-Rentnerinnen im Moa Bogen.
Ein Jahr später hat das E-Center die Paechbrot-Arbeiterinnen wieder zum Frühstück eingeladen, siehe Berliner Woche mit neuen Geschichten von der Arbeit bei Paech.