Vielfalt der Religionen im Ottopark

Festveranstaltung „10 Jahre Moabiter Erklärung für ein friedliches Zusammenleben“

Am 5. September feierten die Mitgliedsgemeinden des ZID e.V. (Zentrum für interreligiösen Dialog Berlin-Moabit) e. V. ein Fest im Ottopark mit Ständen, Bühne, Kinderprogramm und vielen Informationen über die verschiedenen Religionen, das Gemeindeleben und ihre sozialen Projekte.

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Im Jahr 2005 hatten elf Moabiter muslimische und christliche Gemeinden gemeinsam die „Moabiter Erklärung für ein friedliches Zusammenleben“ unterzeichnet. Sie bekennen sich darin nicht nur zu Toleranz, sondern zu gegenseitiger Achtung, Offenheit und friedlicher Nachbarschaft. Diese Erklärung ist nach wie vor aktuell und gibt auch praktische Hinweise, um nur einen zu nennen: keine Diskriminierung aufgrund des Aussehens von Menschen, egal ob es sich um ein Kopftuch, einen Turban oder freizügige Kleidung handelt. Der feierlichen Verabschiedung dieser Erklärung zu Pfingsten 2005 in der Heilandskirche waren seit 2001 regelmäßige „Treffen der Religionsgemeinschaften“ vorausgegangen, initiiert durch das Quartiersmanagement Moabit West. Sie waren eine Reaktion auf zunehmende Terrorängste und Islamfeindlichkeit nach den Anschlägen des 11. September. Im Oktober 2007 gründete sich schließlich das ZID als Verein, um den interreligiösen Dialog zu fördern und für ein friedliches und vertrauensvolles Miteinander der verschiedenen Kulturen und Religionen im Stadtteil einzutreten.

Das Fest war eine gelungene Mischung aus Unterhaltung und Information. Schottische Dudelsackklänge von Michael Scherer aus der St. Johannisgemeinde ließen Passanten neugierig stehenbleiben. Nach den Begrüßungsworten von Peter Preuschoff aus St. Paulus und Mahmoud Bargouth vom Haus der Weisheit stellte Regina Backhaus die „Moabiter Erklärung“ vor. Stephan Lange aus der Heilandsgemeinde führte durchs Programm. Mehrere Chöre und Musikgruppen traten auf, die Moabiter „Wunderkinder“ des Pakistanischen Kulturvereins begeisterten das Publikum z.B. mit im Schnelldurchgang aufgesagten U-Bahnstationen auf Zuruf der U-Bahn-Linie.

Höhepunkt war eine Podiumsdiskussion, an der Annette Reichwald-Siewert (Evangelische Erlöser-Gemeinde) Abdallah Hajjir (Haus der Weisheit), Dr. Ernst Pulsforth (Katholische Gemeinde St. Laurentius), Dr. Andreas Goetze (EKBO), die Islamwissenschaftlerin Dr. Riem Spielhaus und Bezirksbürgermeister Dr. Christian Hanke teilnahmen. Es moderierte Prof. Dr. Klaus Kocks. Etwa 100 aufmerksame Zuhörer verfolgten die Diskussion, die statt der angekündigten 50 Minuten gute eineinhalb Stunden dauerte, während der sich niemand langweilte. Erstaunlich offen und teilweise durchaus kontrovers wurde diskutiert. Als besonders fruchtbar wurden die thematischen Diskussionsveranstaltungen zu Aspekten der unterschiedlichen religiösen Bekenntnisse (Gebete, Gottesbild, Jenseitsvorstellungen usw.) empfunden. Auch die gemeinsamen Besuche von Pfarrern und Iman in Schulklassen waren sehr erfolgreich. Leider sind viele dieser Aktivitäten in der letzten Zeit mangels Fördermitteln ein wenig eingeschlafen. Deshalb wurde auch die Notwendigkeit regelmäßiger Förderung eingefordert, wobei die Rolle des Staates durchaus unterschiedlich beurteilt wurde.

von links nach rechts: Dr. Pulsforth, Reichwald-Siewert, Dr. Hanke, Prof. Dr. Kocks, Spielhaus, Goetze, Hajjir
von links nach rechts: Dr. Pulsforth, Reichwald-Siewert, Dr. Hanke, Prof. Dr. Kocks, Spielhaus, Goetze, Hajjir

Ist aus dem früheren „Gegeneinander“ oder dem gleichgültigen „Nebeneinander“ nun ein „Miteinander“ geworden? Auch diese Frage konnte nicht einheitlich beantwortet werden: man ist aufeinander zugegangen, aber daran sind und waren auf beiden Seiten nicht alle Gemeindemitglieder beteiligt. Hajjir erklärt es bildlich: „Wir haben in Moabit einen Zug gestartet, den Zug des Miteinanderlebens. Das ZID e.V. ist die Lokomotive, es gibt viele Stationen und mehrere Ziele. Wir wollen immer im Dialog bleiben, haben es geschafft, Vertrauen aufzubauen und friedlich miteinander umzugehen.“ Reichwald-Siewert spricht davon, dass es zwar noch kein richtiges „Miteinander“ aber doch ein wohlwollendes „Nebeneinander“ gibt. Wie soll man reagieren, wenn Christen von Muslimen als „Ungläubige“ bezeichnet werden? Auch „Andersgläubige“ oder „Nichtgläubige“ sind zu akzeptieren, lautet die eindeutige Antwort, und nicht gleich beleidigt sein, schließlich ist es auch noch nicht so lange her, dass Christen von „Heiden“ gesprochen haben. Interreligiöser Dialog auf Stadtteilebene, das ist einmalig, und zwar in Moabit.

Viele Gemeinden leisten Hilfe und Unterstützung für Flüchtlinge. St. Laurentius hat schon vor vier Jahren syrische Bürgerkriegsflüchtlinge in Ägypten unterstützt und sie mit einer großen Spendenaktion hergeholt, als sie dort nicht mehr sicher waren. Das „Haus der Weisheit“ hat während des Ramadan täglich für die Bewohner der Traglufthalle der Berliner Stadtmission gekocht und stellt bei Notsituationen am LAGeSo Schlafplätze zur Verfügung. Kirchenasyl boten die Kaiser-Friedrich- und die Reformationskirche.

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Das sind nur einige Beispiele für eine übergeordnete Kategorie: Menschlichkeit. Die Vielfalt ist eine Bereicherung, braucht aber ein gemeinsames Fundament und dafür reicht nicht das Grundgesetz, sondern eine Sozialethik, auf die sich alle einigen.

Mehr Informationen:
http://www.zidberlin.de
Moabiter Erklärung in deutsch und türkisch.

Dieser Artikel erscheint nächste Woche etwas gekürzt in der 6. Ausgabe sept./okt. 2015 der Stadtteilzeitung "ecke turmstraße".

2 Fotos: Roland Brecht, Foto (rechts unten): Christoph Eckelt, bildmitte

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