Verkehr Invalidenstraße <br/>Im Namen des Volkes

Nach zwei langen Verhandlungstagen am 2. und 21. Dezember 2010 verkündete heute das Verwaltungsgericht Berlin seine Entscheidung zur Klage des BUND und betroffener Eigentümer, darunter der Inhaber und Betreiber des Garden Hotel in der Invalidenstraße 122, Dr. Carl Loyal, gegen den Planfeststellungsbeschluss Verkehrsausbau Invalidenstraße: Die Klage wird abgewiesen.

Vor seiner Begründung des Urteils wies der Vorsitzende Richter Wilfried Peters darauf hin, dass die Entscheidung für das Gericht schwierig gewesen sei. In der Begründung führte das Gericht aus, dass es keine Rechtsverstöße im Hinblick auf die Planrechtfertigung festgestellt hat. Die Invalidenstraße sei in ihrem bisherigen Zustand nicht in der Lage, den künftig zu erwartenden Verkehr auch unter Berücksichtigung der Schaffung einer Straßenbahnverbindung zwischen Hauptbahnhof und Chausseestraße angemessen und verkehrssicher aufzunehmen. Dies war für das Gericht der wesentliche Gesichtspunkt bei seiner Entscheidungsfindung.

Auch die von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zugrunde gelegten Verkehrsprognosen und der daraus resultierende Verkehrsbedarf seien nicht zu beanstanden und die absehbare Entwicklung bis zum Jahr 2025 sei ausreichend berücksichtigt worden, führte das Gericht weiter aus.

Zur Verkehrsprognose hatten die Kläger schon 2008 im Rahmen des Anhörungsverfahrens die Offenlegung der Daten zur baulichen Entwicklung der Quartiere im Umfeld der Invalidenstraße eingefordert, die Einfluss auf die resultierenden Quell- und Zielverkehre von Bewohnern, Arbeitenden, Kunden und Lieferanten haben. Als zu betrachtende Gebiete mit erheblichen Neubaupotentialen hatten sie die Neubauplanungen und -bauten am Nordbahnhof, dem BND-Gelände und dem Gebiet auf der gegenüberliegenden Seite der Chausseestraße, im Umfeld des Hauptbahnhofs und Humboldthafens, und dem Heidestraßenquartier genannt.

Erst zum ersten Tag der mündlichen Verhandlung der Klage am 2.12.2010 legte die beklagte Senatsverwaltungsbehörde dem Gericht ein Papier mit Zahlendifferenzen zu den Veränderungen der Zahlen von Anwohnern bzw. Arbeitsplätzen vor, die die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gegenüber ihrer früheren Prognose für das Jahr 2025 nunmehr berücksichtigt hat. Für die langfristige Prognose 2025 der Senatsverwaltung wird ein neues gemeinsames Modellrechnungsverfahren von Berlin und Brandenburg mit allgemeinen Annahmen zu den darin enthaltenen Verkehrszellen und der Bevölkerungs- und Arbeitsplatzentwicklung für gesamt Berlin und Brandenburg benutzt. Diese Modellrechnungen geben allerdings überprüfbare Daten derzeit noch nicht richtig wieder, was auch Wohlfahrth von Alm (Senatsverwaltung) in einem Nebensatz in der gestrigen Verhandlung bemerkte, denn das Rechenmodell ist eben noch in Entwicklung und nicht final.

Die von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vorgelegten Daten, welche lokalen Entwicklungen zu Arbeitsplätzen und Wohnungen in die jetzt vorgelegte neue Prognose 2025 eingeflossen sind, werden von den Klägern und der beklagten Senatsverwaltung erheblich unterschiedlich gesehen. Die Kläger bemängelten, dass nicht einmal schon heute gebaute bzw. im Bau befindliche Projekte, z.B. am Nordbahnhof oder mit dem Total-Tower im Heidestraßenquartier, sowie angekündigte Neubauten mehrerer Bundesministerien bei den Daten für die Prognose 2025 mit ihren resultierenden Auswirkungen adäquat berücksichtigt worden sind. Kläger Carl Loyal vermutet, dass der Senat bei der Prognose absichtlich falsch geplant hat, um die Öffentlichkeit zu täuschen. Ein heftiger Streit entbrannte entsprechend auch zu den einfließenden Daten zum Heidestraßenquartier. Hierzu geht die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in ihrer am 2.12.2010 vorgelegten Verkehrsprognose für 2025 gerade mal von einem Zuwachs von 100 Arbeitsplätzen und etwa 2900 Bewohnern aus. Das von den Eigentümern des Heidestraßenquartiers, der Deutschen Bahn und der Vivico, sowie auch Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer öffentlich angekündigte Entwicklungsszenario für die kommenden 10 bis 15 Jahre wiesen vor Gericht die Vertreter der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Wohlfahrth von Alm sowie Rechtsanwalt Dr. Klinger und andere als vollkommen unrealistisch zurück. So komme die Ansiedlung von Total ins Heidestraßenquartier nur zustande, weil die Vivico selber diesen Neubau finanziert (die Firma Total wird dort Mieter), damit dort überhaupt ein Projekt entsteht und weitere nachkommen sollen. Die Realisierung des Heidestraßequartiers wird etwa 30 bis 40 Jahre benötigen, und nicht bis 2025 umgesetzt sein, widerspricht Verwaltungsmitarbeiter von Alm vor dem Gericht den öffentlich gemachten Äußerungen seiner ihm vorgesetzten Senatorin Junge-Reyer. Zudem würden nicht nur neue Arbeitsplätze entstehen, sondern auch welche wegfallen, wie z.B. die des derzeitigen Zwischennutzers „Mitte Meer“, einem Spezialitätenladen für mediterrane Lebensmittel, der derzeit eine Halle zwischen „Hamburger Bahnhof“ und den „Galerien am Wasser“ nutzt und einem Neubau einer Berliner Dependance eines schweizerischen Planungsbüros weichen soll.

Das Verwaltungsgericht erklärte in seiner Begründung, dass auch das Gericht nach seinen Erfahrungen die hoffnungsvollen Szenarien der Grundstücksentwickler der Vivico/Deutschen Bahn als realitätsfern ansieht. Zudem seien neben den lokalen Entwicklungen, die vielleicht ein mehr an Arbeitsplätzen und Wohnungen bedeuten, andere allgemeine Entwicklungen, die sich negativ auf den Verkehrsbedarf auswirken, ebenfalls zu berücksichtigen.. Daher seien die von der Senatsverwaltung in diesem Planungsverfahren vorgelegten Zahlen für das Gericht nicht anzuzweifeln, wobei Prognosen naturgemäß eh einen Spielraum haben.

Auch beim Verfahren zur Abwägung der Trassenwahl für Straße und Straßenbahn sowie zu den Umweltauswirkungen von Lärm und Luftschadstoffen sah das Gericht keine Abwägungsfehler bei der Variantenprüfung. Die Senatsverwaltung hatte gegenüber ihrer ursprünglichen Kfz.-Verkehrsplanung zwischenzeitlich erhebliche Nachbesserungen vorgenommen, was auch die Kläger zugestehen. Im Hinblick auf verkehrsbedingte Umweltbelastungen musste die Stadtentwicklungsverwaltung bei diesem gerichtlichen Verfahren allerdings „einige Kröten schlucken“, um eine Niederlage in diesem Verfahren abzuwenden. Zu verschiedenen Punkten wurde der bisherige Planfeststellungsbeschluss im Gerichtsverfahren mit Zustimmung der beklagten Verwaltung abgeändert. So hätte der bisherige Planfeststellungsbeschluss die bestehende nächtliche Tempo-30 Regelung unwiderruflich aufgehoben, was eine erneute Anordnung aus Umweltschutzgründen unmöglich gemacht hätte, was aber im Widerspruch zum Umweltrecht steht. Zudem hat das Verwaltungsgericht über das im Anhörungsverfahren von der Verwaltung zugestandene Umweltmonitoring zu den Luftbelastungen der Verwaltung auferlegt, dass diese zusammen mit der für Umwelt zuständigen Fachbehörde innerhalb von zwei Jahren nach Inbetriebnahme der umgebauten Straße die Ergebnisse des Monitorings veröffentlichen muss, so dass betroffene Anwohner im Falle einer Überschreitung von Grenzwerten auf diese Daten als Grundlage einer Klage zurückgreifen können. Als Luftreinhaltemaßnahmen in der Invalidenstraße kämen insbesondere eine ganztägige Verkehrsbeschränkung auf 30 km/h sowie ein LKW-Verbot in Betracht, erläuterten die Richter.

Die Kläger zeigten sich enttäuscht vom Urteil des Gerichts, gegen das der Antrag auf Zulassung der Berufung beim Oberverwaltungsgericht zulässig ist. „Das Urteil ist eine Ohrfeige für Bürger und Anwohner“ findet Dr. Carl Loyal, der auch „kein Verständnis für die Ignoranz des Gerichts gegenüber den vorliegenden konkreten Zahlen als Grundlage der Verkehrsprognose“ hat. Tilo Schütz vom BUND sieht bei einer Realisierung des Konzepts der Stadtentwicklungsverwaltung, dass dann sowohl die Straßenbahn wie auch die Autos gemeinsam im Stau stehen werden. Eine eigene Rechnung zur „Verkehrsgüte“ einer vom BUND vorgelegten Verkehrsführungsvariante gegenüber der Senatsplanung habe für den Autoverkehr eine höhere Verkehrsgüte ergeben. Die Straßenbahnführung sei beim BUND-Konzept Stau-unanfälliger und habe zudem im Gegensatz zur Senatsplanung am Knotenpunkt mit der Chausseestraße barrierefreie Einstiege. Die Kläger betonten in dem Verfahren erneut, dass sie sich vehement für die möglichst baldige Realisierung einer leistungsfähigen und schnellen Straßenbahnverbindung einsetzen. Die Klage vor dem Verwaltungsgericht hatte sich ausdrücklich nur gegen den Ausbau des Straßenverkehrs gewandt.

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung kündigte nach der Urteilsverkündung in einer Pressemitteilung an, dass sie nunmehr im Frühjahr 2011 mit den Leitungsarbeiten der Wasserbetriebe und anschließend mit den Arbeiten der BVG und der Senatsverwaltung zum Umbau der Invalidenstraße und zum Bau der Straßenbahn beginnen will. Derzeit erfolge das Verfahren zur EU-weiten Vergabe der Leistungen für Straße, Straßenbahn und Leitungsarbeiten.

Rechtsanwalt Karsten Sommer wird für die Kläger voraussichtlich gegen das Urteil beim Oberverwaltungsgericht Berlin auf die Zulassung zur Berufung klagen. Aber noch haben sie Zeit zum überlegen: Nach Zustellung der Begründung des Urteils haben die Kläger einen Monat Zeit für die Einreichung der Klage auf die Zulassung der Berufung und einen weiteren Monat für die Ausfertigung der Begründung.

Nachtrag

: Artikel "Grünes Licht für neue Tramstrecke", Berliner Woche

Zur Seite der Senatsverwaltung über den Bau.

"Dauerbaustelle Invalidenstraße Thema bei Frontal 21", Artikel Berliner Woche

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