Neugestaltung der Mahn- und Gedenkstätte Levetzowstraße

In den vergangenen Monaten wurde die Mahn- und Gedenk­stätte Levetzowstraße neu gestaltet, um deren ursprüngliche Gestaltungsidee als Mahnort an die frühere Syna­goge und die Depor­ta­tionen von Juden im Natio­nal­so­zia­lismus wieder aufleben zu lassen. Die Synagoge diente in der Zeit des National­sozia­lismus zeit­weise als Sammel­lager für Berliner Juden, die von dort aus deportiert wurden. Im Jahr 1955 wurde die Synagoge abgerissen.

Modell Wettbewerbsentwurf 1987/88
Das Modell des Wettbewerbsentwurfs 1987/88, Foto: Theseus Bappert

Der Landschaftsarchitekt Theseus Bappert war gemeinsam mit dem Land­schafts­archi­tekten Prof. Jürgen Wenzel und dem Bild­hauer Peter Herbrich Verfasser der 1988 ein­ge­weih­ten Mahn- und Gedenk­­stätte Levetzow­straße. Sie hatten einen 1985 vom West­berliner Senat ausge­schrie­benen Wett­bewerb für eine Gedenk­­stätte und Mahnmal an die Depor­ta­tio­nen am Ort der ehemaligen Synagoge in der Levetzowstraße 7-8 gewonnen (vollständige Skizze Siegerentwurf).

Seit der Errichtung im Jahr 1988 waren im Rahmen der Grünpflege und der 2010 erfolgten Anpassung an den anliegenden Spielplatz und des Spielplatzes selber Veränderungen entstanden, die in ihrer Summe die Gedenk­stätte entstellten. Die 1987/88 gepflanzte Baumhecke aus 40 Hain­buchen, die die frühere 11 Meter hohe Synagoge symbolisiert, wurde letztlich bei der damaligen Spiel­platz­neu­ge­stal­tung abgeholzt. Hinter der zum Gedenken aufgestellten  ebenfalls 11 Meter hohen Tafel aus Cortenstahl, in die eine Liste der 63 Deportationszüge mit Datum, Ziel und Zahl der verschleppten Menschen eingestanzt ist, wurde ein hohe Kletter­wand errichtet.

Der Zugang zum Spielplatz mit "Menschenpaketen" auf Rampe vor der "Flammenwand"-Stele nach der Eröffnung 1988, Foto: Theseus Bappert

Der Zugang von der Levetzowstraße aus zum Spielplatz wurde einfach seitlich versetzt an eine Stelle, wo früher die Synagogenmauer war. Der Wettbewerbsentwurf hatte bewusst den Durchgang zum Spielplatz in den Bereich des Portikus der Synagoge gelegt. Somit sollten die Nutzer*innen des Spiel­platz von der Levetzow­straße aus bei ihrem all­täg­lichem Weg durch das Mahn­mal gehen: Vom auf Schienen stehende Waggon aus Guss­eisen, in dem „Menschen­pakete“ von Gefan­genen sichtbar sind, ebenso auf einer Rampe zum Waggon stehend als Sinn­bild für Zig­tausende in die Ghettos, Kon­zen­tra­tions- und Ver­nich­tungs­lager deportierte Juden, und über in den Beton eingelassene gusseiserne Reliefs der 32 Berliner Vereins- und Gemeindesynagogen als Symbol ausgelöschter deutsch-jüdischer Kultur.

Nachdem Theseus Bappert 2011 die Entstellung des Mahnmals zufällig im Vorbeifahren entdeckt hatte und auf seine telefonische Intervention keine Antwort erhielt, protestierte er 2012 als einer der Verfasser des preisgekrönten Entwurfs gegen die Entstellung des Denkmals und Missachtung seiner Urheberrechte auch in schriftlicher Form. Erst seit 2015 fanden zwischen Bappert und dem Amt ein Austausch für eine Wiederherstellung des Mahn- und Gedenkortes im ursprüng­­lichen Sinn statt. Es dauerte bis Oktober 2017, dass in einer Sitzung des zuständigen BVV-Ausschusses eine Wiederherstellungsplanung erstmals vorgestellt wurde.

Skizze der Hecke mit Sichtbereich in Endhöhe, © Theseus Bappert

Im Juni 2018 stellte Bappert vor  zahlreichen interessierten Besucher*innen in einer von der Stadtteilkoordination Moabit und »Sie waren Nachbarn e.V.« organisierten Veranstaltung im Rathaus Tiergarten die Wiederherstellungsplanung anhand einer Präsentation vor, erläuterte sie und beantwortete viele Fragen.

Die neu geplanzten Hainbuchenbäume und Strauchhecke, im Bild rechts der wieder durch das Mahnmal führende realisierte Zugang durch ein Tor zum Spielplatz
Blick durch Waggon auf Menschenbündel und Gedenktafel "Flammenwand"

Im Oktober/November 2019 erfolg­ten nun endlich die land­­schafts­­gärt­­ne­­rischen Arbeiten, damit die Würde des Mahn­mals wieder her­ge­stellt wird. Die Kletter­­wand auf dem Spiel­platz wurde abge­baut, sie kann auf einem ande­ren Spiel­­platz wieder auf­ge­stellt werden. Die ursprüng­­­liche Abgren­zung des Spiel­platzes vom Den­kmal in Form einer Hain­buchen­hecke wurde mit der am 21. Oktober 2019 erfolgten Neu­pflan­zung neu errichtet. Wie schon bei der ursprüng­­­lichen Errich­tung wurde auch jetzt auf eine mit 6 Metern schon recht große Aus­gangs­höhe der 25 neu gepflanz­ten Hain­buchen geach­tet. Über die Jahre soll die Hain­buchen­hecke auf 11 Meter Höhe, eben der Höhe der frü­he­ren Syna­goge, wach­sen. Doch es wird noch viele Jahre dauern, bis die Hainbuchen die 11 Meter Höhe erreicht haben. Um den von Bürge­r*innen geäu­ßerten Wunsch nach einer Ein­sicht­mög­lich­keit zum Spiel­platz als soziale Kon­trolle zu haben, sind die Hain­buchen­bäume unter­halb 2 Meter Höhe frei­ge­schnit­ten, eine vor die Hain­buchen gepflanzte Strauch­hecke bleibt auf eine Höhe von 1 Meter beschnitten, so dass die gewünschte Ein­sicht­mög­lich­keit auf den Spiel­platz gegeben ist und den­noch die Hecke die frühere Synagoge symbolisiert. Der Zugang zum Spielplatz ist wieder zurück­verlegt an die Stelle des früheren Syna­gogen-Porti­kus, sodass Spiel­platz­nutze­r*innen den All­tags­weg zum Spiel­platz durch den Mahnort gehen.

Bei der im Juni 2017 erfolgten Einweihung des Gedenkorts Güterbahnhof Moabit sagte Bezirks­stadt­rätin Sabine Weißler aus gutem Grund „Passen Sie auf diesen Ort auf!“. Diese Mahnung sollte angesichts der Geschichte der Mahn- und Gedenk­stätte Levetzow­straße auch für das neu her­gestel­lte Mahnmal Levetzow­straße gelten.

Die offizielle Eröffnung des Mahnmals, eigentlich für den 9. November vorgesehen, wurde kurzfristig auf den 11. November 2019, 09:00 Uhr gelegt. Bezirksstadträtin Weißler kündigte bei der Eröffnung an, dass während des Jahres 2020 ein künstlerischer Wettbewerb zur Visualisierung eines der Wege von der früheren Synagoge zum Teil des Güterbahnhofs Moabit stattfindet. Von dort aus wurden die meisten jüdischen Menschen von Berlin aus in die Vernichtungslager deportiert. Im Sommer 2017 wurde an dieser Stelle der Gedenkort Güterbahnhof Moabit eröffnet. Weißler sagte, dass zur Zeit diskutiert wird, ob anstelle der Gedenktafel an der 1965 errichteten ersten Gedenkstätte in Form eines Mauerecks, eine inhaltlich berichtigte Tafel angebracht werden soll, da der Text der alten Gedenktafel einen schweren inhaltlichen Fehler hat.

Prof. Jürgen Wenzel, einer der drei Verfasser des Gedenk- und Mahnmals Levetzowstraße

Prof. Jürgen Wenzel als einer der Urheber der Gestal­tung des Gedenk­orts sprach sich vehe­ment gegen ein Aus­­tau­schen der Tafel aus. Schon bei der Ent­­steh­­ungs­­ge­­schichte des Gestal­­­tungs­­­ent­wurfs ab 1985 hatte es dazu Dis­­kus­sio­nen gegeben. Bewusst wurde seiner­­zeit der Gedenk­­ort von 1965 mit­­samt des falschen Tex­tes in den neuen größeren Gedenk­­ort inte­griert, um die gesell­­­schaft­­liche Ver­gangen­­heits­­bewäl­­tigung mit dem Natio­­nal­­so­zia­­lismus im Wandel der Jahre zu doku­­men­tieren.

Viel­leicht lässt sich ja im Bereich der Gedenk­stätte noch eine Infor­ma­tion über solche Zusamm­en­hänge zur Auf­klärung errichten.

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