Monika Raasch. Ein aktives Leben in der Lehrter Straße

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Fast ihr ganzes Leben hat Monika Raasch in ihrer Straße verbracht, früher im Altbau, jetzt im Hochhaus. Drei Jahre jung war das Mädchen, als die Familie 1958 ins Hinterhaus der Lehrter 40a einzog, mit freiem Blick aus dem Küchenfenster über die Bahnanlagen, denn das zweite Hinterhaus war ausgebombt. Das Haus steht schon lange nicht mehr, es musste der Westtangenten-Autobahnplanung weichen.

Aus dieser Zeit kann sie lebhaft erzählen, von den vielen kleinen Läden: Drogerie, Kohlen, Getränke, Friseur, Edeka. Alles, was man brauchte, gab es um die Ecke. Mit dem Napfkuchenteig in der Keramikform unterm Geschirrhandtuch schickte Mutter sie über die Straße zum Bäcker, für 50 Pfennig den Kuchen ausbacken lassen. Was über den Rand gelaufen war, naschte sie schnell auf dem Rückweg. Die Zimmer wurden mit Kachelöfen geheizt, im Winter gab’s Bratäpfel. In der Küche stand die Kochmaschine. Einmal hatten sie vergessen den Schieber zuzumachen, als der Schornsteinfeger kam. Das war die Katastrophe, alles verrußt. Zwei Tage mussten sie putzen.

Alle kannten sich, die Kinder spielten in den Ruinen, was sie eigentlich nicht durften. Später wurde auf dem Ruinengrundstück an der Perleberger Straße, wo jetzt das Blaue Haus steht, Cosy-Wasch gebaut. Das war 1974, als sie ihre Lehrstelle bei der AOK bekommen hatte. Damals haben sich die Nachbarn zusammengetan und gegen die Auto-Waschanlage protestiert. Nach Lärmmessungen mussten Plastiktüren eingebaut werden. Als zwei Jahre später entmietet wird, zieht sie mit Mutter und Bruder in den Neubau an der Invalidenstraße. "Leider konnte Mutter den Komfort mit Fernheizung und Aufzug nicht mehr lange genießen, ein Jahr später wurde sie krank und starb. Ich hatte gerade ausgelernt und konnte die Wohnung übernehmen, in der ich bis heute lebe."

Manchmal nahm sich Monika Berichte mit nach Hause und setzte sich mit der elektrischen Schreibmaschine auf den Balkon. Dabei hatte sie Angst, dass die Nachbarn sich wegen "Lärm" beschweren. So ruhig war es hier bis zur Wende 1989. Seitdem ist die Wohnqualität schlechter geworden. Aus gesundheitlichen Gründen musste sie in Frührente gehen, jetzt kann sie den Sommer mit ihrem Lebensgefährten Rainer Eismann im Wohnwagen auf einem Campingplatz im Grünen verbringen. Schon lange setzen sich beide für die Interessen der Mieter ein und sind seit 2001 in die Mietervertretung gewählt. In den letzten Jahren wurde viel erreicht, zum Beispiel die Mietminderung für den Baulärm der Großbaustelle des Lehrter Bahnhofs. Die ständig überschwemmten Parkplätze und verdreckten Müllplätze wurden neu angelegt. "Als Gerüchte über den Verkauf der Häuser an private Investoren laut wurden, sind wir gleich aktiv geworden, aber viele Leute sind resigniert, sie haben verlernt sich zu wehren." Der Verkauf konnte nicht verhindert werden und unter den Mietern breitet sich immer mehr Verunsicherung aus. Der Leerstand nimmt zu. Zu Ende März 2008 wurden die Mieterparkplätze im Parkhaus an der Invalidenstraße gekündigt. Dort könnte ein Hotel gebaut werden, aber an Informationen kommen sie nicht ran.

Im Jahr 2007 wurde Monika Raasch (zusammen mit Lothar Kohlbach) für ihr bürgerschaftliches Engagement mit dem Klara-Franke-Preis des Verbundes für Nachbarschaft und Selbsthilfe Moabit geehrt. Gewürdigt wird mit dem Preis nicht nur ihre Tätigkeit in der Mietervertretung, sondern die tatkräftige Unterstützung in sozialen Notlagen. Gar nicht selten kommt es vor, dass alte und kranke Nachbarn ohne die notwendige Versorgung in ihren Wohnungen alleine gelassen sind, sei es, dass sie aus dem Krankenhaus entlassen wurden, ohne dass der Pflegedienst darauf vorbereitet wurde, sei es, dass ihre Pflegebedürftigkeit nicht erkannt oder anerkannt wurde. Hier hilft sie, putzt, kauft ein, bringt frische Wäsche ins Krankenhaus. Doch fordert sie auch immer wieder die Hilfe von professionellen Stellen ein. "Alte und kranke Menschen mit wenig Geld, haben es wirklich schwer. Und wenn sie dann auch nicht über Unterstützungsmöglichkeiten Bescheid wissen oder zu stolz sind ihre Notlage offiziellen Stellen zu offenbaren, sieht es ganz schlimm aus", erklärt sie. Manchmal klingt es etwas bitter, doch entmutigen lässt sie sich nicht.

Zuerst in Teilen erschienen in stadt.plan.moabit, Nr. 25, Dezember 2004

Nachtrag:
Wie ein kanadischer Pensionsfonds Berliner Mieter aufschreckt (Süddeutsche Zeitung) und der Immobiliendeal im NDR.

Erzählcafé mit Christa Kaes und Monika Raasch im September 2016.

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