Milieuschutz auch in Wedding und Moabit?
„Bezirkskonferenz - Strategien gegen Verdrängung“ des Runden Tisches Gentrifizierung Moabit

„Luxuswohnungen sind in Berlin nahezu ausverkauft. Der Markt stagniert, weil es kein adäquates Angebot mehr gibt, um die Nachfrage zu stillen.“ Ring Deutscher Makler, 4. Juni 2013
Drastisch steigende Angebotsmieten, Wohnungsknappheit, Verdrängung: Die Politik in Berlin steht unter großem Druck, den gegen die Mieter gekippten Wohnungsmarkt in der Stadt sozial abzufedern. Auch die Bezirke sind gefragt. Die sollen, so fordert zum Beispiel der Berliner Mieterverein, mehr Milieuschutzgebiete ausweisen. Große Teile von Pankow und Friedrichshain-Kreuzberg stehen bereits unter Milieuschutz, im Bezirk Tempelhof-Schöneberg werden in Kürze zwei neue Gebiete eingerichtet. Doch der Bezirk Mitte zögert: Bieten Milieuschutzgebiete wirklich einen Schutz vor einem überbordenden Immobilienmarkt – oder beschäftigen sie im Wesentlichen nur die Bürokratie, ohne nennenswerte Effekte zu haben?
Der „Runde Tisch Gentrifizierung Moabit“ veranstaltete dazu am 4. Juni im Stadtschloss Moabit die „Bezirkskonferenz Strategien gegen Verdrängung“. Auf der überaus gut besuchten Veranstaltung berichteten Experten von den Erfahrungen mit dem städtebaulichen Instrument des Milieuschutzes. Auch die Politik war präsent: Der Staatssekretär für Bauen und Wohnen, Ephraim Gothe, vertrat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt. Aus Mitte waren fast alle stadtentwicklungspolitischen Sprecher der BVV-Fraktionen anwesend sowie der Stadtrat für Soziales und Bürgerdienste, Stephan von Dassel. Carsten Spallek, der für Stadtentwicklung zuständige Stadtrat, allerdings nicht. Er wird jetzt auf einer Sondersitzung des BVV-Ausschusses für Stadtentwicklung mit dem Thema konfrontiert: Als erste direkte Folge der Konferenz beschloss der Ausschuss einstimmig, sich am 7. August gesondert dem Thema zu widmen.
Was ist Milieuschutz? – Erfahrungen aus Friedrichshain
Doch was sind überhaupt Milieuschutzgebiete, was können sie leisten und was nicht? Dazu gab Werner Oehlert Auskunft. Er ist Geschäftsführer der ASUM GmbH, die in Friedrichshain Milieuschutzgebiete betreut. Das vom Gesetzgeber im §172 des Baugesetzbuches vorgegebene Ziel ist „die Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung“. Es geht also nicht um den Schutz einzelner Mieter, sondern um die Struktur der Gebietsbevölkerung. Die Gemeinden sollen sich gegen starke Umstrukturierungsprozesse wehren können. Denn die haben schließlich auch die Konsequenzen für die Infrastruktur zu bewältigen, z.B. für Schulen, Kindergärten, Sozialeinrichtungen oder die Verkehrsinfrastruktur.
Erst daraus abgeleitet ergibt sich auch der Schutz der Bevölkerung vor Verdrängung. Dazu können die Kommunen z.B. den Abriss von Wohngebäuden, die Zusammenlegung von Wohnungen oder Luxusmodernisierungen untersagen - wobei immer strittig sein wird, was Luxusmodernisierungen aktuell genau sind. Derzeit gilt als Luxus z.B. die Einrichtung von zweiten Bädern oder zweiten Balkonen. Nicht eingreifen kann die Kommune dagegen bei einfachen Mieterhöhungen oder ortsüblichen Modernisierungen. Werner Oehlert konnte jedoch am Beispiel des Milieuschutzgebietes Boxhagener Platz nachweisen, dass Milieuschutz auch Mieterschutz bedeutet. Da, wo die ASUM GmbH bei Modernisierungsmaßnahmen vermittelte, ist die Miete heute rund 20% niedriger als im Gesamtgebiet, die Verweildauer der Mieter ist mehr als doppelt so hoch, es wohnen deutlich mehr Familien mit Kindern in den Wohnungen und auch wesentlich mehr Menschen mit geringem Einkommen. Das sind recht eindeutige Effekte – allerdings gehen sie zum Teil auch noch auf die Zeit zurück, als in Milieuschutzgebieten Mietobergrenzen für Mieterhöhungen aufgrund von Modernisierungen galten. Im Jahr 2004 hat das Berliner Oberverwaltungsgericht nach einer Klage eines Eigentümers diese Mietobergrenzen jedoch gekippt – und damit dem klassischen Milieuschutz sozusagen die Zähne gezogen.
Pankow denkt weiter
Besonders offensiv geht derzeit der Bezirk Pankow mit den Milieuschutzgebieten um. So untersagt er dort beispielsweise sehr öffentlichkeitswirksam auch rückwirkend die Umwandlung von Wohnungen in Ferienwohnungen. Der Jurist Mathias Schmitt-Gallasch von der S.T.E.R.N GmbH, die in Pankow die Milieuschutzgebiete betreut, erläuterte die Möglichkeiten, die sich aus dem Instrument bei geschicktem Vorgehen zusätzlich noch ergeben könnten. In München zum Beispiel nutzt die Kommune intensiv ihr Vorkaufsrecht, wenn in den Gebieten Grundstücke veräußert werden. Dazu musste die Stadt nur am Anfang eigene Finanzmittel einsetzen. Nachdem aber deutlich wurde, dass sie dieses Recht tatsächlich ausübt, schließen die Erwerber der Grundstücke jetzt lieber sogenannte „Abwendungsvereinbarungen“ mit der Stadt, die zum Beispiel einen Anteil an Wohnungen mit niedrigeren Mietpreisen für Geringverdiener festschreiben. In Pankow versucht man jetzt ein strategisches Bündnis mit kommunalen Wohnungsbaugesellschaften auf die Beine zu stellen. Die sollen nach Maßgabe des Senats sich nicht nur im Wohnungsneubau engagieren, sondern auch Bestandsbauten aufkaufen. Für die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften könnte der Bezirk das Vorkaufsrecht stellvertretend ausüben – oder aber entsprechende Abwendungsvereinbarungen mit Mieterschutzklauseln abschließen.
Senat unterstützt neue Ausweisungen
Weiter gibt das Gesetz auch die Möglichkeit, die Umwandlung von Wohnungen in Eigentumswohnungen in Milieuschutzgebieten für einen Zeitraum von fünf Jahren zu untersagen. Damit könnte zumindest der Typus von Immobilienverwertern aus den Gebieten herausgehalten werden, der auf die schnelle Umwandlung und den schnellen Verkauf von Eigentumswohnungen setzt. Voraussetzung dafür wäre aber der Erlass einer entsprechenden Verordnung durch den Senat. Die Senatsabteilung für Stadtentwicklung und Umwelt erarbeitet derzeit einen Entwurf für eine entsprechende Umwandlungsverordnung. Staatssekretär Ephraim Gothe (SPD) machte aber wenig Hoffnungen auf eine schnelle Einführung - derzeit blockiere die CDU. Allerdings sei auch dem Koalitionspartner bewusst, dass das Thema Mieten und Stadtentwicklung derzeit in Berlin sehr viele Menschen bewegt. Es ist also durchaus denkbar, das der Entwurf nicht allzu lange in der Schublade liegen bleibt.
„Der Mietermarkt ist hart und unbarmherzig“, führte der Staatsekretär aus und gab zu, dass der Senat in den letzten zehn Jahren hier einiges versäumt habe. Jetzt aber müsse er „alles tun, um den Mietermarkt zu entlasten“. Ephraim Gothe, der bis zur Wahl im Herbst 2011 Baustadtrat von Mitte war, kennt allerdings auch die Probleme, die der Bezirk Mitte mit dem Milieuschutz hat. So muss der Bezirk jeweils Vorstudien in den Gebieten finanzieren. Gothe sagte hierbei die volle Unterstützung der Senatsverwaltung zu, ohne freilich auf Einzelheiten einzugehen. Konkret riet er dem Bezirk, zunächst einmal eine Expertenrunde einzuberufen: „Das kostet fast gar nichts.“ Auch für eine bessere personelle Ausstattung der bezirklichen Stadtplanungsämter setzt er sich ein. Bis zu sechs zusätzliche Mitarbeiter pro Bezirk fordere er derzeit in den Haushaltsverhandlungen – auch, um die geplanten Neubauzahlen erreichen zu können.
Ausführliche Untersuchungen sind notwendig
Der Bezirk Tempelhof-Schöneberg wird in Kürze nach einem Vorlauf von rund einem halben Jahr zwei neue Milieuschutzgebiete aufstellen. Das berichtete Herr Baldow vom Stadtplanungsamt Tempelhof-Schöneberg. Im Bayrischen Viertel soll damit verhindert werden, dass 4-5-geschossige Zeilenbauten aus den 50er Jahren zugunsten neu geplanter Luxuswohnungen abgerissen werden, im Dennewitz-Kiez in der Nähe des neuen Parks am Gleisdreieck soll dem starken Umstrukturierungsdruck begegnet werden, der aus den benachbarten Gebieten in Kreuzberg und auch aus Mitte (Tiergarten-Süd) in das Gebiet wirke. Der Senat unterstützt diese Vorhaben. Nach der Aufstellung muss das Gebiet noch ausführlich untersucht werden, um es später förmlich zu beschließen. Dieser Beschluss muss rechtssicher begründet sein. Es muss vor allem nachgewiesen werden, dass die Bevölkerungsstruktur im Gebiet tatsächlich bedroht ist, etwa, indem in letzter Zeit tatsächlich vermehrt Luxusmodernisierungen stattgefunden haben. Denn mit Klagen betroffener Hauseigentümer ist auf jeden Fall zu rechen. Aber bereits der Beschluss zur Aufstellung des Gebiets ermöglicht dem Bezirk Abrisse oder Luxusmodernisierungen zu verschieben: Das Instrument ist also vergleichsweise schnell einzusetzen.
Und Mitte?
Eine Vorstudie, die noch unter Ephraim Gothes Leitung vom Bezirk zu einem möglichen Milieuschutzgebiet um die Lehrter Straße in Auftrag gegeben wurde, riet allerdings noch im Jahr 2011 vor einer Ausweisung des Gebietes ab: Zu hoch sei bereits der Ausstattungsgrad der Wohnungen im Gebiet. Sigmar Gude vom Büro Topos, der diese Studie erarbeitet hatte, erklärte im persönlichen Gespräch nach der Veranstaltung, dass er nach wie vor voll zu dem Ergebnis stehe, zumal hier nur vergleichsweise wenige Wohnungen betroffen wären. In anderen Gebieten von Mitte sehe er jedoch ein klares Potential für Milieuschutz – besonders im Bereich südlich der Straße Alt-Moabit. Denn der Druck zur Umstrukturierung lastet auch auf traditionell „guten“ Wohngebieten der Innenstadt, vor allem dort, wo die letzte Grundsanierung schon länger zurückliegt. Und der Umwandlung zu Luxuswohnungen ist mit den Mitteln des Milieuschutzes besonders gut zu begegnen.
Zahlreiche Mieter hatten zum Auftakt der Konferenz davon berichtet, wie dieser Druck konkret aussieht. Nicht nur in der Calvinstraße, sondern auch in vielen anderen Häusern in Moabit und auch im Wedding. Beliebte Entmietungsstrategien sind dabei überzogene Modernisierungsankündigungen mit extremen Mietsteigerungen, um Mieter frühzeitig zur Kündigung zu veranlassen. Zudem lassen einige Eigentümer bewusst Wohnungen leer stehen, obwohl die Nachfrage extrem groß ist. Offenbar spekulieren sie auf höhere Verkaufserlöse für leerstehende Mietshäuser, die dann leichter luxusmodernisiert werden können.
Text: cs, Foto: Christoph Eckelt, bildmitte
Zuerst erschienen in der “ecke turmstraße“, Nr. 5, juni / juli 2013.
Nachträge:
Ein Bericht zum Workshop 2 und ein Kommentar zur Zuwanderung finden Sie ebenfalls. Hier ist auch die Dokumentation der Konferenz zu finden.
Sondersitzung des Ausschusses für Stadtentwicklung zum Thema Wohnen/Mieten/Verdrängung:
Mittwoch, 7. August, 17:30 Uhr, Karl-Marx-Allee 31, Sitzungsraum 121
Runder Tisch Gentrifizierung Moabit:
jeder 2. Dienstag im Monat, 19 Uhr, Sahara City, Ottostr. 19, 10555 Berlin, es gibt auch zusätzliche Termine, der nächste Runde Tisch am Dienstag, 25. Juni 2013, zu Gast ist die Pressesprecherin des Bündnisses Zwangsräumungen verhindern. Es geht weiter mit der Vorbereitung des Standes für das Turmstraßenfest beim nächsten Runden Tisch am Dienstag, 27. August 2013.
Stadtteilvertretung Turmstraße für Milieuschutz in ganz Moabit (Beschluss 27.5.13).
Antrag in der BVV (Drs. 0990/IV) "Mittes Wohngebiete schützen - Planungsrechtliche bezirkliche Einfluss-nahme gegen Verdrängungstendenzen umsetzen" als Ergebnis der Sondersitzung vom 7. August. Dem Antrag wurde im Stadtentwicklungsausschuss am 28.9. zugestimmt und dann in den Hauptausschuss am 5.11. überwiesen.
MieterMagazin Oktober 2013: Milieuschutz in einigen Bezirken im Kommen.
Die BVV hat am 21.11.13 dem Antrag zum Milieuschutz (s. oben) zugestimmt. Jetzt kann es also los gehen mit den Untersuchungen. Tempelhof-Schöneberg und andere Bezirke sind da schon viel weiter!
Und ob das Bezirksamt den Beschluss zügig umsetzt, bezweifelt das Mieter Echo in diesem Artikel: "Bezirksamt muss endlich handeln".
Es geht voran - im Schneckentempo (Zwischenbericht zur Drs 0990/IV): ein Schreiben zur Finanzierung an den neuen Staatssekretär für Wohnen am 30.4.14!
Vom Senat gibt es 20.000 Euro, jetzt soll die Wohnungsneubauprämie eingesetzt werden (Drs. 1545/IV). Erneute Anfrage, wann das Geld zur Verfügung steht (Drs. 1588/IV).
Nun ist ein Grobscreening beauftragt, hier ein ausführlicher Bericht im potseblog.
Beim Stadtentwicklungsausschuss am 28.1.2015 wurde das Grobscreening für Milieuschutz in Mitte vorgestellt. 12 von 41 Planungsraäumen sind Verdachtsgebiete, die weiter untersucht werden müssen. Sie liegen in Moabit und Wedding (TAZ).
Die Berliner Morgenpost hat heute eine interaktive Grafik gebracht, Postleitzahl eingeben und dann kommt die Mietsteigerung in Prozent, nach dem Wohnungsmarktreport von CBRE und Berlin-Hyp. Mopo-Artikel über den Report für ganz Berlin mit einer Grafik als Karte. Auch diese Grafik zu den auffälligsten Wohngebieten ist ganz interessant. Nach ihr liegt die Stephanstraße (PLZ 10559) mit 18,8% seit 2013 an vierthöchster Stelle bei den Mietsteigerungen. Und hier der Artikel über Moabit, wenn auch die Überschrift mit Süd-Moabit irritiert, denn die Lehrter liegt ja eindeutig im Osten.
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