"Menschen wie du und ich"

Warmer Otto: Besuch in einer Tagesstätte für Obdach- und Wohnungslose

Ein großer Raum mit Tischen und Stühlen, ein Flachbildschirm an der Wand, Grünpflanzen vor den Fenstern. Hier ist das Zuhause für etwa 100 Menschen ohne Wohnung. Aber nur bis 17 Uhr, weil Warmer Otto dann zumacht. Alle müssen raus. Auf die Straße oder in eine der Berliner Notunterkünfte oder in ein Wohnheim.

Es gibt Angebote wie Kochgruppe, Deutschkurs, Frauenfrühstück

Warmer Otto ist eine Tagesstätte in Berlin Moabit für Obdachlose und Wohnungslose. Das sind zwei unterschiedliche Begriffe. Obdachlos heißt, man verbringt die Nacht draußen oder in einer Notunterkunft, meist mit vielen schnarchenden Schläfern in einem Raum. Wohnungslose haben oft einen festen Schlafplatz in einem Wohnheim im Mehrbettzimmer oder kommen vorübergehend bei Bekannten unter. Hier im Warmen Otto können diese Menschen essen, trinken, duschen, sich in der Kleiderkammer gespendete Sachen holen, das Internet nutzen, kopieren. Es gibt auch einige Gruppenangebote wie Kochgruppe, Trödelgruppe, Deutschkurs, Frauenfrühstück und Minigolf. Die Tagesstätte gehört zur Berliner Stadtmission der Evangelischen Kirche und wird unter anderem über den Bezirk Mitte und Spenden finanziert. Jeder ist willkommen, aber ohne Alkohol, Drogen – und Gewalt, weder verbal noch körperlich. „Man darf auch nicht zu besoffen sein”, sagt ein Sozialarbeiter.
Mehrere Sozialarbeiter_innen arbeiten hier. Mit ihnen zu sprechen, war nicht so einfach, weil sie immerzu beschäftigt sind. Irgendeiner braucht immer etwas. Eine neue Jacke, einen Schlafsack, einen Rasierapparat, einen Rat oder ein Gespräch. Die Sozialarbeiter finden Zeit für jeden. Sie helfen auch, um verschiedene Papiere in Ordnung zu bringen für Ausweis, Krankenversicherung oder Sozialhilfe. Aber die Leute müssen selber Interesse für eine Beratung zeigen. Aber die Leute sollten Interesse für eine Beratung zeigen.

Immer mehr EU-Bürger in Berlin haben keine Wohnung

Sozialarbeiter Karsten Krull schätzt, dass etwa 15000 bis 20000 Obdach- und Wohnungslose in Berlin leben: „Darunter sind immer mehr EU-Bürger – aus Polen, Tschechien, Südeuropaund den Baltischen Ländern. Das ist inzwischen die Mehrheit der Wohnungslosen in Berlin“, so Krull. EU-Ausländer haben keinen Anspruch auf Sozialleistungen, wenn sie nicht zuvor in Deutschland gearbeitet haben. Sie leben in großer Armut. Für diese Menschen gibt es ein neues Hilfsprojekt in Moabit: WohnE. Es wird von der EU und dem Bezirk Mitte gefördert.
Das Hauptproblem ist der Wohnungsmangel. „Wenn es keine Wohnungen gibt, ist unsere Hilfe auch für nichts. Früher war der Wohnungsmarkt viel besser. Wenn man jetzt eine Wohnung finden will, braucht man viel Geduld“, sagt Krull. Wenn es 100 Bewerber für eine Wohnung gibt, nehmen die Vermieter Leute, die gut bezahlen können.

„Wohnungslosigkeit ist eine schwere Situation, in die jemand schneller kommen kann, als er denkt. Menschen, die wohnungslos geworden sind, haben vielleicht ein Jahr zuvor nicht daran gedacht“, so die Erfahrung des Sozialarbeiters. „Jeder Mensch hat eine andere Geschichte, aber wenn einer aus der Armut kommt, eine schlechte Ausbildung oder viele Probleme zu Hause hat, ist das oft ein Weg in die Wohnungslosigkeit.“
Und wie sollen wir Wohnenden denen ohne Wohnung begegnen? „Es sind Menschen wie du und ich. Man muss einfach mit ihnen reden und etwas Verständnis für ihre Situation aufbringen“, meint Krull. Das ist nicht so schwer – oder?

Bodo Bürger, 53, zwölf Jahre auf der Straße

„Beim Warmen Otto arbeite ich seit 21 Jahren ehrenamtlich. Heute habe ich schon Kartoffeln und Zwiebeln geschält und Pilze geschnitten. Jetzt warte ich noch auf drei Spenden für die Kleiderkammer. Um 16.15 Uhr hau ich hier ab, da hab ich Feierabend. Im Sommer habe ich oft meinen Schlafsack dabei, aber jetzt bleibe ich nachts bei der Berliner Stadtmission, da habe ich Bereitschaftsdienst. Mein Leben ist ganz normal. Früher hab ich als Textilreiniger und im Landschaftspflegebau beim Senat gearbeitet. Daher meine gute Rente, ich kriege 810,57 Euro im Monat. Als Obdachloser – wie soll man davon nicht leben können?! Ich will aber eine Wohnung finden, doch das klappt nicht. Es ist mir ein Rätsel – jeder sagt mir was anderes. Ich fühle mich ein bisschen verarscht. Aber wenn ich nicht mehr obdachlos bin, würde ich gern zu meiner Rente etwas dazu verdienen. Die Wohnung, die ich haben möchte, kostet 380 Euro, und ich will das selbst bezahlen. Wat heißt Zuhause? Wenn ich Zuhause bin, bin ich Zuhause. Dann würde ich mir einen Recorder anmachen und schöne Musik hören, ein paar Bier trinken und relaxen.“

Gisela Zimmer, 74, elf Monate auf der Straße

„Im Moment geht es mir schlecht, weil ich gehört habe, dass sie keine Wohnung für mich haben. Jetzt schlafe ich in einer schönen evangelischen Kirche im Wedding. Aber man kann dort erst spät reingehen. So kurz vor 22 Uhr. Vor ein paar Tagen war dort ein schönes Konzert. Ganz schöne Musik. Das haben die für die Kinder fantastisch gemacht. Da haben sie einen Markt aufgebaut und da konnte man Sachen kaufen. Ich habe ja leider kein Geld, aber ganz schön war das schon. Ich ernähre mich ja auch nicht sehr gesund und dann bin ich oft krank, aber ich laufe viel, manchmal bis zu zehn Kilometern am Tag. Das Laufen macht mir viel Spaß. Aber jetzt brauche ich endlich eine Wohnung. Denn ohne Wohnung kann ich nicht mehr, weil ich auf der Straße krank geworden bin. Früher hatte ich eine Wohnung und habe immer viel Gartenarbeit gemacht. Das war sehr schön. Ich vermisse es, mich hinzulegen – auf eine schöne Couch. Eben das, was man wirklich braucht für die Entspannung in der Wärme. Das fehlt einem sehr. In der Zukunft sehe ich mich in einer Zweizimmer Wohnung (lacht). Ich habe Kinder und eine Enkelin, eine süße 17- jährige. Wenn eines meiner Kinder kommt, das ist Zuhause für mich. Und jetzt kommen alle beide zu dem schönen Essen in der Sankt-Pauls-Kirche.“

Jan Markowsky, war acht Jahre auf der Straße

Jan Markowsky engagiert sich für Obdachlose im Verein „Unter Druck“ im Wedding, einem Treffpunkt für Wohnungslose und sozial ausgegrenzte Menschen. „Das sind meine Kumpels, und zu aller erst sind sie Menschen“, sagt Markowsky, der in der DDR Ingenieur war. „Obdachlose sollten sich nicht schämen, sondern mit dem Kopf hoch erhoben durch die Straßen gehen und sagen: Hier bin ich!“ Er hat acht Jahre auf der Straße gelebt, also „Platte gemacht“ in der Obdachlosensprache. Aber er hat sich selbst nie aufgegeben. Eines Tages hat er angefangen, in der Theatergruppe des Vereins zu proben. Daraus sind viele Theaterjahre geworden. Markowky klappert mit seinem Schlüsselbund für den Vereinsladen. „Ich hatte damals schon die Schlüssel. Das hat nicht jeder. Und Platte machen und zu einer bestimmten Zeit hier sein, das verträgt sich schlecht. Es gab einen Moment, wo ich mir sagte, so geht es nicht mehr. Ich muss für die anderen da ein und dafür sorgen, dass sie reinkommen.“ Seit 2009 hat er eine Wohnung.

Text und Fotos: Ivanea Samardic

Zuerst erschienen in "Hallo Mitte". Deutschlerner_innen machen Zeitung, Ausgabe 3, April 2017

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