Kontroverse um Bürgerbeteiligung zur Turmstraße 75

Dokumentation der Stellungnahme der AG Kultur der Stadtteilvertrettretung Turmstraße und Antwort des Leiters des Amtes für Weiterbildung und Kultur:

Misslungene Bürgerbeteiligung beim Projekt  »Brüder-Grimm-Haus«

Das derzeit größte Projekt, das aus Mitteln des Aktiven Zentrums finanziert wird, ist der Umbau der Turmstraße 75 zu einem modernen Bildungs- und Kulturzentrum.
Die Stadtteilvertretung Turmstraße hat dabei die Aufgabe, die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger sicher zu stellen. Aktuell stellt sich jedoch die Frage, wie kann sie das eigentlich tun?
Nach der Wahl der aktuellen Stadtteilvertretung im Mai 2015 waren wichtige Bausteine des Projektes bereits zementiert. So wurde z.B. ein Nutzungskonzept unter der Regie von Prof. Dr. Bernd Käpplinger (Humboldt-Universität zu Berlin) erstellt, wobei die Ergebnisse der Befragung einiger Anspruchsgruppen, wie Nutzer*innen und Passant*innen der Turmstraße, mit einbezogen wurden.

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Sie finden den Schlussbericht für ein Nutzungs-/Umbaukonzept aus dem Jahr 2015 im Archiv (!) auf der Seite www.turmstrasse.de, die von KoSP betrieben wird: Endbericht Nutzungskonzept Turmstraße 75 (Update 2018: in Kürze hoffentlich hier - Brüder-Grimm-Haus).
Leider ist bis heute nicht nachvollziehbar, auf welche Weise die  Ergebnisse der Befragungen im laufenden Projekt Berücksichtigung gefunden haben oder noch finden werden. Das mag wohl daran liegen, dass sich das Bezirksamt trotz mehrfacher Aufforderungen bis heute weigert, der Stadtteilvertretung das vollständige Konzept mit Anhang zur Verfügung zu stellen.
Ein weiterer Kritikpunkt von unserer Seite ist, dass die Formulierung der Ausschreibungskriterien für die Firma, die derzeit die Bürgerbeteiligung durchführt, ohne öffentliche Diskussion erfolgte. Statt uns zu beteiligen, wurden wir gebetsmühlenartig auf das behördliche Vergaberecht verwiesen.
Zwei Träger wurden zur Entwicklung der weiteren Konzeption und Durchführung von Beteiligungsmaßnahmen ausgewählt: »STATTBAU Stadtentwicklungsgesellschaft mbH« und die »Baupiloten BDA Architektur«.
Zum weiteren Verfahren wurde ein Beirat gebildet, der die Prozesse begleiten soll, dem neben den Verantwortlichen der Verwaltung (Abt. Bildung und Kultur und Abt. Jugend) vier Vertreter*innen der Stadtteilvertretung, eine Vertreterin der Quartiersmanagementgebiete (Moabit West und Moabit Ost) und Vertreter*innen – meist mit Leitungsfunktion – der derzeitigen Mieter- bzw. Nutzer*innen des Hauses angehören. Außerdem gehört dem Beirat ein Vertreter des, für das Aktive Zentrum beauftragten, Koordinationsbüros KoSP an.
Öffentliche Veranstaltungen werden meistens lediglich über interne Mailinglisten und die Webseiten der Quartiersmanagementgebiete, MoabitOnline, unsere Webseite (www.stv-turmstrasse.de) und die von KoSP betriebene Webseite (www.turmstrasse.de) sowie in der Sanierungszeitung »ecke turmstraße« bekannt gemacht. Alle nicht internetaffinen Nutzer*innen kamen somit bisher nicht in den Genuss, von den Terminen erfahren zu können. Dabei hat das Gebäude selbst eine breite Fensterfront im Erdgeschoss, in der ein Veranstaltungsplakat gut Platz finden würde.
Eine Einbeziehung der in der Bevölkerung zu einem starken Anteil vorhandenen Bürger*innen mit Migrationshintergrund und von Gruppen wie Kindern und Senior*innen und Behinderten erfolgt trotz massiver Kritik, die bereits in der Projekteröffnungsveranstaltung geäußert wurde, bis heute nicht.
Uns interessiert, ob die Moabiter*innen bereits in den Gestaltungsprozess einbezogen wurden, und wie viele Informationen bei Ihnen angekommen sind. Daher haben wir eine kleine Umfrage erstellt, und bitten Sie um Teilnahme!
Die Konzeptphase begann Ende Mai 2016. Im September werden dann die Ergebnisse vorgestellt und unter Beteiligung der Öffentlichkeit Voten eingeholt.


Turmstraße 75 – Volles Haus Kultur!

Von Michael Weiß, Leiter des Amtes für Weiterbildung und Kultur

Der Anstoß, die Turmstraße 75 umzustrukturieren, kam von den Kollegen der Stadtplanung. Sie überzeugten uns, dass das Haus Besseres verdient hätte als ein Dasein als grauer Riese.
Schon 2009 war das »Brüder-Grimm-Haus« in der Förderkulisse Aktives Zentrum als ein Ort mit Potenzial für die Belebung der westlichen Turmstraße genannt worden. 2013 wurde das Projekt mit der Programmplanung »Aktives Zentrum Turmstraße« vom zuständigen Stadtentwicklungsamt veröffentlicht. Es war außerdem Thema der 5. Zentrenwerkstatt im September 2014 im Silent Green, Wedding. Auch in einer Schriftlichen Anfrage des CDU-Bezirksverordneten Stefan Evers [Korrektur: Stefan Evers ist Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus] wird im Oktober 2014 die »Erneuerung des Kulturstandortes Brüder-Grimm-Haus« als Schwerpunkt genannt.

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Das Problem war, dass sich niemand darum riss. Ein marodes, unter Denkmalschutz stehendes Haus mit vielen festen Nutzern bedeutet nichts als Ärger. Bis dahin war das Gebäude nicht im Fachvermögen des Amtes für Weiterbildung und Kultur, das daher weder das Recht noch die Pflicht hatte, etwas an der Lage zu ändern.
Wir haben lange überlegt. Den Ausschlag gab dann die Möglichkeit, mit der Humboldt-Universität eine Musteruntersuchung durchzuführen: Was ist mit dem Haus möglich und was wird gebraucht?
Die Herausforderung: Das Haus ist vom Keller bis fast unter das Dach voll belegt. Allein die Galerie Nord hat rd. 9400 Besucher*innen jährlich. Musikschule und VHS zusammen werden von rund 6000 Nutzer*innen besucht. An erster Stelle sind die Institutionen zu berücksichtigen, die dieses Haus z. T. seit sehr langer Zeit nutzen und deren Arbeit für Moabit wichtig ist – ob Musikschule, VHS mit zweitem Bildungsweg, Sprachförderzentrum und Berlin Kolleg oder die Galerie Nord des Kunstvereins Tiergarten in Kooperation mit dem Kulturamt.
Das Amt für Weiterbildung und Kultur übernahm dann das Haus in sein Fachvermögen, weil es überzeugt ist, dass eine offenere Struktur, die die Menschen zu Bildung und Kultur in Moabit einlädt, mit den derzeitigen Nutzern möglich ist.
Die Humboldt-Universität mit Prof. Dr. Bernd Käpplinger und seinem Team organisierte ab Mitte 2014 Workshops, befragte Passanten und Moabiter Kulturschaffende. Diese Interviews bilden in voller Länge den Anhang der Studie. Die Stadtteilvertretung ist eingeladen, ihn bei uns einzusehen. Die 569 Seiten können von uns nicht gedruckt werden, weil das Material zu umfangreich ist und weil wir keine Einwilligung der Interviewten zur Veröffentlichung haben.  Die Zusammenfassung aller Diskussionen, Workshops und Interviews in einer ersten Konzeptidee für das Haus war der Schlussbericht, der veröffentlicht wurde.
Mit der Stadtteilvertretung gab es eine selbstverständliche Kommunikation. So stand in der »ecke turmstraße Nr. 8/2014« ein auf der Titelseite angekündigter Bericht »Turmstraße 75 – so geht es weiter«: »Auch die Stadtteilvertretung Turmstraße ist sehr interessiert daran, sich für die Entwicklung des Brüder-Grimm-Hauses zu engagieren. Kürzlich machten STV-Vertreter mit dem Amtsleiter für Weiterbildung und Kultur, Michael Weiß, eine Begehung der Turmstraße 75 und ließen sich über den aktuellen Stand und die Situation vor Ort informieren.« Auch nachdem im Mai 2015 eine neue STV gewählt worden war, lief unsere Arbeit kontinuierlich weiter. Der Bericht mit den »Zentralen Ergebnissen« ging der Stadtteilvertretung im Juli 2015 zu.
Mit der Beantwortung einer Großen Anfrage informierte die zuständige Stadträtin Sabine Weißler die Bezirksverordnetenversammlung im November 2014 [leider nur die Frage im Netz zu finden]. Der Kulturausschuss der BVV wurde regelmäßig informiert. Am 7. Oktober 2015 stellte Prof. Dr. Käpplinger selbst dem Ausschuss das Ergebnis und die Methode des Projektes vor, an der öffentlichen Sitzung nahmen auch drei Vertreterinnen der STV teil. Am 13. Oktober 2015 fand ein ausführliches Gespräch mit der STV statt, bei dem auch die Bedingungen des Vergaberechts angesprochen wurden. Der Verweis darauf hat nichts mit »Gebetsmühlen« zu tun, sondern mit der Tatsache, dass sich auch eine Behörde an Recht und Gesetz halten muss.
Am 19. Mai 2015 beschloss das Bezirksamt die Übertragung des Hauses an das Amt für Weiterbildung und Kultur und: »Das Vorderhaus Turmstraße 75 soll unter Berücksichtigung der Ergebnisse und Erkenntnisse des Eckpunktepapiers (…) seiner städtebaulichen Bedeutung entsprechend aufgewertet und ausgebaut werden, wobei die bisherigen Nutzungen berücksichtigt werden«.
Die weitere Projektsteuerung wurde ausgeschrieben. Der Beirat, der berufen wurde, repräsentiert die Nutzer*innen und das Amt für Weiterbildung und Kultur; durch die STV und das Quartiersmanagement sind die Bürger*innen »mit am Tisch«. Die Einladungen für die Veranstaltungen gehen über die Websites des Quartiersmanagements und der STV, über Mailinglisten, MoabitOnline, »ecke turmstraße« und das Koordinationsbüro KoSP. Das ist – finden wir – ein sehr breiter Verteiler. Durch »ecke turmstraße« werden auch Menschen ohne Internet informiert. Gerne nehmen wir den Hinweis auf, öffentliche Veranstaltungen auch durch Aushang bekannt zu machen.
Im Januar 2016 berichtete die Berliner Morgenpost ausführlich über die Turmstraße 75 (»Ein Kulturhaus für Moabit«).

Fazit
Die Turmstraße 75 ist ein voll belegtes Kulturhaus. Wer den Eindruck erweckt, es würden neue Nutzer*innen gesucht, geht fahrlässig mit diesem Haus und seinem Kulturangebot um. Es geht um eine neue Struktur. An eine Neukonzeption hat sich das Amt für Weiterbildung und Kultur mit Unterstützung der Humboldt-Universität in einem ungewöhnlich aufwändigen und öffentlichen Verfahren herangetastet. Die räumliche Umsetzung wird derzeit in Workshops, vielen Arbeitsstunden und Diskussionsrunden gesucht. Die Stadtteilvertretung ist daran beteiligt.
Nach Jahren der Vernachlässigung unternehmen wir nun endlich den schwierigen Versuch, für Moabit mehr aus diesem Haus zu machen. Konkurrenzen, Ängste und Gerüchte machen es nicht leichter. Aber das Haus ist für die Menschen wichtig und deshalb ist jeder Einsatz alle Mühe wert.

Fotos: Christoph Eckelt, bildmitte

Zuerst erschienen in der »ecke turmstraße«, nr. 5, aug./sept. 2016

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Älterer MoabitOnline-Artikel "Ein Konzept für die Turmstraße 75"

Nachträge

Öffentliche Beiratssitzung
Die öffentliche Beiratssitzung »Szenarien testen«  fand am  13. September, 17–20 Uhr, in der Turmstraße 75 statt, die Dokumentation (PDF, 5,6MB) liegt vor. Nach Ende der Ausstellung der Entwürfe und der Möglichkeit, diese zu voten und Meinungen zu den Entwürfen abzugeben, wird das Nutzungskonzept weiter bearbeitet.

Die 4. (nicht öffentliche) Beiratssitzung findet am 11. Oktober 2016 statt.

Das erarbeitete Ergebnis des neuen Konzepts wird am 19. November 2016 bei einem Tag der offenen Tür des Brüder-Grimm-Hauses Turmstraße 75 öffentlich vorgestellt.

Projekt auf der Webseite der Baupiloten.

Dringlichkeitsanfrage zur Kündigung des Berlin-Kollegs (Drs. 0362/V).

Der BA-Beschluss als Schlussbericht vom 18. Dezember 2018 sagt: Investitionsbedarf ca. 17 Mio. Euro, Einstellung in Investitionsplanung frühestens 2023, Fertigstellung ca. 2026.

BVV-Anfrage (0533/V) mit Antwort vom 11.3.2019.

Dokumente auf der Webseite des Bezirksamts: https://www.berlin.de/ba-mitte/politik-und-verwaltung/aemter/amt-fuer-weiterbildung-und-kultur/turmstrasse-75/

Das Vorhaben mit einem Gesamtvolumen von ca. 17 Mio. € wurde in die Investitionsplanung des Bezirks eigestellt. Vorgesehen ist die Planung der Maßnahme von 2020 (Vorplanung) bis 2022. Für die Bauarbeiten sind gut drei Jahre ab dem Frühjahr 2023 avisiert. Info: https://www.turmstrasse.de/brueder-grimm-haus

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