Kleines Mädchen - großer Wirbel
Japanischer Militarismus vor unserer Haustür

Weltpolitik direkt vor unserer Haustür? Was hat unser Moabit mit dem Zweiten Weltkrieg in Südostasien zu tun? Eine Menge! Seit dem 28. Oktober 2020 steht ein kleines Denkmal an der Ecke Birkenstraße / Bremer Straße. Initiator vor Ort war der seit etlichen Jahren in Moabit - erst in der Rostocker Straße, jetzt in der Quitzowstraße - ansässige Korea-Verband. Er beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit den sogenannten Trostfrauen. Dies ist ein euphemistischer Begriff, hinter dem sich die Zwangsprostitution vieler junger Frauen und noch nicht erwachsender Mädchen verbirgt - sexuelle Sklaverei. Sie sollten den kaiserlichen japanischen Soldaten „Trost spenden“, ihnen also sexuell zu Diensten sein, um so die Kampfmoral der japanischen Truppen zu heben. Lange war das Thema als Tabu betrachtet worden, Japan hat sich seiner eigenen Geschichte nur unzureichend gestellt. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis sich noch lebende Betroffene an die Öffentlichkeit gewagt und ihr damaliges Schicksal publik gemacht hatten. Wütende Reaktionen aus Japan waren die Folge, eine echte Entschuldigung und eine echte Entschädigung für erlittenes Leid hat es dagegen nie gegeben. Mit einer Vereinbarung und einigen Zahlungen sollten dagegen die Wogen geglättet werden.

Trotz einer aus guten Gründen bewußt sehr zaghaften Mobilisierung waren viele Menschen zur Einweihung erschienen. Reden wechselten sich mit koreanischen Musik- und Tanzdarbietungen ab. Die Reaktion der Japanischen Botschaft ließ nicht lange auf sich warten: Der Abriß des Denkmals wurde gefordert. Es war nicht das erste Mal! Auch die gleichartigen Denkmale vor den Japanischen Konsulaten bzw. Botschaften in Busan und Seoul (beide Südkorea) wurden 2017 von Japan stark bekämpft, sogar der japanische Botschafter wurde nach Japan zurückbeordert. Aktuell wird auf allem Ebenen sehr großer Druck auf den Bezirk Mitte und das Land Berlin ausgeübt, auch von deutschen Politikern!
Das „Land des Lächelns“ zeigt hier eine garstige Seite, die aber „harmlos“ ist im Vergleich zu dem Wüten gegen seine Nachbarn im Zweiten Weltkrieg. Auch wenn Japan fern erscheinen mag, die Geschichte verbindet uns sehr eng, gerade im Zweiten Weltkrieg. Japan war neben Italien die dritte „Achsenmacht“, zusammen mit dem Deutschen Reich. Alle drei überfielen ihre Nachbarstaaten, alle drei wollten billige Rohstoffe und kostenlose (Zwangs-)Arbeitskräfte. Deutschland setzte dem noch ein sehr brutales „i-Tüpfelchen“ auf: Die industrielle Ermordung von sechs Millionen Juden. Bis auf die Shoah kann man die Kriegsziele und Schlachtpläne aber durchaus vergleichen. Letztendlich hatte ja das NS-Regime aufgrund der Angriffe auf Pearl Harbour aus Bündnistreue den USA den Krieg erklärt und sich auch auf den Schlachtfeldern des „Duce“ Mussolini in Nordafrika engagiert, als dessen Armeen in Schwierigkeiten gerieten.
Schon 1937 begann Japan seine Kriege gegen seine Nachbarn, das Massaker von Nanking (China) stellt einen frühen traurigen Höhepunkt dieses Krieges dar. Chinesen wurden bestialisch umgebracht oder regelrecht versklavt. Vollzogen wurden diese Greuel von einer extrem aufgehetzten japanischen Armee. Den Kult um den Tenno, den japanischen Kaiser, kann man dabei durchaus mit dem Hitlerkult hierzulande vergleichen. Allerdings mit einem großen Unterschied: Der jeweils amtierende Tenno gilt in der Japan eigenen Shinto-Religion als gottgleich. China folgten Korea, das heutige Vietnam, die Philippinen und andere und sogar Australien sollte der japanischen Einflußsphäre einverleibt werden. Britische Kriegsgefangene, die das Glück des Überlebens hatten, schilderten eine völlig enthemmte und marodierende japanische Armee - eine klare Folge der Verhetzung und ein absolutes Gegenstück zur sprichwörtlichen japanischen Höflichkeit! Eine Brutalität und ein Sadismus, der auch nicht im entferntesten noch etwas mit den Ehrenkodexen der Samurai, der japanschen Ritter, zu tun hatte. Die US-Soldaten, die in Form des sogenannten Inselspringens Insel für Insel zurückeroberten, schilderten ihnen unverständliches: Nicht nur Soldaten kämpften buchstäblich bis zur letzten Patrone und gaben sich lieber selbst die Kugel, anstatt sich gefangennehmen zu lassen, sondern auch Zivilisten stürzten sich von den Klippen in den sicheren Tod, auch Mütter mit ihren Kindern in den Armen. Die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki waren daher regelrecht willkommene militärische Schläge, um sich in eine Opferrolle zu begeben, denn kriegsentscheidend waren sie nicht gewesen, obwohl dies immer wieder behauptet wird. Bis auf die bis dato unbekannten Auswirkungen der Radioaktivität glichen die „Ergebnisse“ nämlich denen der konventionellen Bombardements japanischer Städte: Aufgrund der traditionellen Holzbauweise brannten die Städte flächendeckend wie Zunder. Und nach Nagasaki wurden noch Großstädte wie Osaka konventionell bombardiert. Erst der Eintritt der in Europa siegreichen Sowjetunion in den ostasiatischen Krieg und die erfolgreiche Einnahme Okinawas durch die USA bewirkte die Kapitulationsüberlegungen Japans, denn nun drohte sicher ein Zweifrontenkrieg, der nach den hohen Verlusten - gerade im Bereich der Marine und der Luftwaffe - nicht mehr zu gewinnen gewesen wäre. Eine Invasion des japanischen Festlandes, also der vier Hauptinseln, durch die US-Truppen von Okinawa aus stand unmittelbar bevor.
Mögen vielen hierzulande die damaligen Überlegungen Deutschland gegenüber wie z.B. der Morgenthau-Plan als sehr drastisch erscheinen, so ist Japan gegenüber eine viel drastischere Maßnahme auferlegt worden: Im Gegenzug zur Tolerierung des undemokratischen Tenno-Systems ist der Artikel 9 in Japans Verfassung geschrieben worden: „(1) In aufrichtigem Streben nach einem auf Gerechtigkeit und Ordnung gegründeten internationalen Frieden verzichtet das japanische Volk für alle Zeiten auf den Krieg als ein souveränes Recht der Nation und auf die Androhung oder Ausübung von Gewalt als Mittel zur Beilegung internationaler Streitigkeiten. (2) Um das Ziel des vorhergehenden Absatzes zu erreichen, werden keine Land-, See- und Luftstreitkräfte oder sonstige Kriegsmittel unterhalten. Ein Recht des Staates zur Kriegführung wird nicht anerkannt“. Japan wurden lediglich sogenannte Selbstverteidigungskräfte zugestanden. Diese Defakto-Armee hat aber nicht in allen Bereichen vergleichbar große Rechte wie die Armeen anderer Länder, zum Beispiel in Bezug auf Enteignung von Grundstücken für militärische Zwecke. Um so erbitterter wird von konservativ bis ultrarechts gegen den Artikel 9 angekämpft. Gerade die quasi Dauerregierung durch die Liberaldemokratische Partei LDP (bis vor kurzem durch Premierminister Abe repräsentiert) will eine Veränderung der Verfassung, ebenso intensiv bekämpft die japanische Friedensbewegung dieses Unterfangen. Die notwendigen Mehrheiten zur Änderung der Verfassung im Sinne der Konservativen konnte daher noch nie erreicht werden. Obwohl doch mehrheitlich konservativ gewählt wird, ist vielen Japanern bei dem Gedanken, was ein abgeschaffter Artikel 9 für Japans Zukunft bedeuten könnte, sehr unwohl zumute.
Japan tut sich aber in einer anderen Frage bis heute sehr schwer gegenüber seinen Nachbarn und ehemaligen Kriegsgegnern: Anders als in Europa hat es nie eine Aussöhnung auf Staatsebene gegeben. Waren zum Beispiel Deutschland und Frankreich fast schon „ewig Erbfeinde“, so würde heute so gut wie niemand mehr auf die Idee kommen, das jeweils andere Land angreifen zu wollen. Sowohl Ähnliches wie die offizielle deutsch-französische Zusammenarbeit und Freundschaft, aber auch Jugendbegegnungen, sucht man im ostasiatischen Raum vergebens. Japan hat so gut wie nie seine Kriegsschuld eingestanden oder sich um Versöhnungsgesten gegenüber seinen Nachbarn bemüht. So ist denn auch das harsche Vorgehen gegen die Trostfrauendenkmäler einzuordnen: Japan würde durch sie „sein Gesicht verlieren“, es wäre „antijapanisch“. Es nimmt daher nicht wunder, daß fortschrittliche Japaner, die sich zum Beispiel im Rahmen des Deutsch-Japanischen Friedensforums in Deutschland umgesehen haben, von der deutschen Form der Geschichtsaufarbeitung begeistert zeigen. Gegründet worden ist das Deutsch-Japanische Friedensforum 1987 von dem vor Jahren verstorbenen japanischen Schriftsteller und strikten Kriegsgegner Makoto Oda (er hatte als Kind noch die erwähnte Bombardierung Osakas selbst erleben müssen), der auch allen Anfeindungen zum Trotz eine Koreanerin geheiratet hatte. Koreaner werden - wie auch Angehörige anderer ostasiatischer Staaten - zum Teil stark diskriminiert. Für ihn galt die Maxime, wenn die offizielle Seite nichts für den Frieden tut, dann müssen eben die Bürger dafür sorgen.

Ein Teil des rüden Umgangs mit seinen Nachbarn offenbart sich auch im Yasukuni-Schrein in Tokyo. Dieser Schrein ist Teil der Shinto-Religion, in der es nicht den einen zentralen Gott gibt, sondern in der neben bedeutungsvollen Gottheiten, wie zum Beispiel der Sonnen- und Lichtgöttin Amaterasu (von der nach alten Mythen der Tenno abstammen soll), auch zum Beispiel örtliche Naturgottheiten wichtig sein können. Aber auch Menschen können nach ihrem Tod dort verehrt werden, wenn sie für das kaiserliche Japan ihr Leben geopfert haben, darunter auch Kamikaze-Piloten. Der Yasukuni-Schrein ist dabei insofern unrühmlich, weil dort auch japanischer „Kriegshelden“ gedacht wird, darunter den Verantwortlichen in Politik und Militär für die japanische Seite des zweiten Weltkriegs. Unter ihnen befinden sich auch viele verurteilte Kriegsverbrecher. Dabei kommt es noch dicker: Regelmäßig haben japanische Politiker, bis hin zu Premierministern wie Yazuhiro Nakasone, Junichiro Koizumi und zuletzt Shinzo Abe diesen Schrein offiziell am Jahrestag der Kapitulation Japans besucht - man stelle sich den Wirbel in Europa vor, wenn Bundeskanzler offiziell am 8. Mai eine Gedenkkirche besucht hätten, in der Leute vom Schlage eines Göring, Himmler oder gefallene KZ-Bewacher verehrt würden! Auch eine weitere Eigenart sorgt für Ärger mit den Nachbarn: Zwangsweise in die japanische Armee gepreßte und im Krieg gefallene Männer, unter ihnen viele Koreaner, werden dort verehrt. Was wie ein versöhnender Ausgleich aussehen mag, sorgt aber bei vielen religiösen Menschen in anderen Ländern für größten Unmut, denn sie sehen ihre toten Angehörigen für eine ihnen fremde Religion mißbraucht an, ein Ort der Trauer wird ihnen verwehrt. Dagegen arbeitet zum Beispiel eine Gruppe buddhistischer Mönche auf der nördlichen Hauptinsel Hokkaido an, die koreanische Kriegstote exhumiert und für die Überführung in ihre Heimat sorgt, so noch die Namen der Toten und ihre Angehörigen zu ermitteln sind. Dem Ganzen wird direkt neben dem Schrein noch durch ein Kriegsmuseum (Museum Yushukan) die Krone aufgesetzt: Japanische Kriegstechnik wird ausgestellt und der Krieg, zum Beispiel mit stimmungsvollen Dioramen, regelrecht verherrlicht. Auch Kamikaze-Einsätze, also Selbstmord mittels fliegender Bomben, werden durch das Zurschaustellen eines entsprechenden Flugzeugs und den Erklärungen dazu als patriotisch dargestellt. Man stelle sich in Deutschland neben der hypothetischen Gedenkkirche noch ein ebenso hypothetisches Museum für Wehrmacht und Waffen-SS vor, in dem deren „Heldentaten“, zum Beispiel die Bombardierung Guernicas oder die Torpedierung neutraler ziviler Schiffe durch deutsche U-Boote, in höchsten Tönen gepriesen würde.

In den beiden offiziellen Atombombenmuseen in Hiroshima und Nagasaki wird ausführlich auf die Wirkungen der Atombomben eingegangen, zum Teil werden sie mit grausamen, schwer auszuhaltenden Bildern dokumentiert. Minutiös wird der jeweilige Weg von der Idee über den Bau und die Funktionsweise bis zum Einsatz der beiden technisch verschiedenen Bomben dargestellt. Nur eines fehlt völlig: Die Vorgeschichte, also Japans Schuld an diesem Krieg. Es wird lediglich die Seite der zivilen Opfer dargestellt, die ostasiatischen Opfer des brutalen militärischen Expansionsdranges werden nicht erwähnt. Es lebt sich bequem in der selbstgewählten Opferrolle. Ein privates Atombombenmuseum, besser ein Friedensmuseum, klärt dagegen in Nagasaki über die fehlenden Teile der Geschichtsschreibung auf.
Da mag man es als fast schon selbstverständlich ansehen, daß die japanischen Faschisten gut organisiert und uniformiert mit Lautsprecherwagen durch die Städte fahren und ihre Ideologie preisen. Man fühlt sich an Filme über die SA erinnert - nur eben auf japanisch und im Heute. Sie schrecken auch nicht vor politischen Morden zurück, gerade gegen Kommunalpolitiker bis hin zu Bürgermeistern.
Nun mag dieser Artikel sehr antijapanisch klingen, das soll er aber nicht, denn ich habe sowohl in Japan als auch hier in Berlin sehr viele Japaner kennengelernt, die sich wie ich Sorgen um diese Politik machen. Die japanische Höflichkeit ist sprichwörtlich, allerdings kann sie nur noch gespielt sein, wenn man in Fettnäpfchen tritt. Als ein solches „Fettnäpfchen“ wird von offizieller Seite auch das kleine Denkmal vor unserer Haustür angesehen. In diesem Falle sollten wir aber nicht mehr höflich sein - gerade angesichts der vielen negativen Gemeinsamkeiten mit Japan im Zweiten Weltkrieg, sondern uns mit allen friedliebenden Menschen, egal welcher Nation sie auch angehören mögen, zusammen gegen die Abrissforderungen der japanischen Regierung wehren. Nicht zu vergessen: Die Vorgehensweise der japanischen Regierung stellt eine klare Einmischung in die inneren Angelegenheiten unseres Landes dar - würden wir in dieser Angelegenheit klein beigeben, würden wir auch unsere eigene Geschichtsaufarbeitung ein wenig unglaubwürdig machen.
Text und Fotos: Andreas Szagun