Hamberger Großmarkt – Fluch oder Segen

In Moabit wird von dem Münchener Unternehmen Hamberger auf dem Gewerbegebiet nördlich der Siemensstraße ein Großmarkt als Zulieferer für Gastgewerbe geplant (siehe auch Artikel www.moabitonline.de/2308).

Die Firmengeschichte der Familie Hamberger begann 1866, als die Brüder Franz Paul und Sebastian Hamberger mit der Produktion von Schwefelhölzern den Grundstein fürdas Unternehmen legten und zur Verbesserung der Absatzbedingungen im Jahre 1911 nach München umsiedelten ( Bild Zündhölzer).

Die Tradition im Handel mit Lebensmitteln startete mit dem Salzhandel in Bayern und wurde im Laufe der Zeit zu einem Kolonialwarenhandel ausgebaut, der sich bis in die Gegenwart zu einem Großhandelsspezialbetrieb und starker Partner für Gastronomie und Handel weiterentwickelt hat.

Hamberger Sicherheits-Zündhölzer

Die Eigentümerfamilien Hamberger und Titius aus München haben sich das Gewerbegebiet nördlich der Siemensstraße in Moabit als Standort für Berlin ausgesucht. Ausschlaggebend waren die Nähe zum Fruchthof, kurze Wege zu ihren Kunden im Berliner Stadtzentrum und der nahe Anschluss an die Stadtautobahn. Das Unternehmen will 25 Millionen Euro in die moderne neue Verkaufsfläche investieren.

Die Stadt Berlin und der Bezirk Mitte waren lange auf der Suche nach Unternehmen, die im Rahmen der EU-Förderung einen zügigen Weiterbau der Umgehungsstraße um das Gewerbegebiet nördlich der Siemensstraße möglich macht, da der Bau einer solchen durch die EU geförderten Straße sowie der Ausbau des Stadtgartens in der Siemensstraße eine Ansiedlung eines förderfähigen Gewerbes erfordert. Hamberger erfüllt dieses Kriterium und schafft, durch die arbeitsintensive Struktur des Großhandels geprägt, gleichzeitig 300 neue tarifgebundene Vollzeitarbeitsplätze in einem Gebiet wie Moabit mit chronisch hoher Arbeitslosigkeit.

Auf den ersten Blick scheint das Unternehmen Hamberger ein Glücksgriff für den Bezirk Mitte zu sein. Dieses wird umso klarer betrachtet man den Zustand der Kassen des Bezirkes indem Lücken allein im Bildungssektor von 10 Millionen Euro klaffen und kräftige Steuereinnahmen von Mittelständigen Unternehmen, anderswo eine Haupteinnahmequelle für die Finanzierung von staatlichen Aufgaben, in diesem Stadtgebiet weitgehend fehlen.

Aber die Großmarkthalle selbst ist zum Stein des Anstoßes geworden. Eine Bürgerinitiative Siemensstraße hat sich gegründet, die sich für den Erhalt der Pappelallee, zumindest dem nicht geschädigten 50% der Bäume ausspricht und große Probleme mit der Fassadengestaltung und der Lage der Halle hat, auch wenn diese nur 11,75m hoch und nicht 13m, wie die Initiative in einem Flugblatt mitteilt und auch nicht wie dort in einer Bildmontage dargestellt eine unbegrünte monolithische Betonfassade sondern eine mit mehreren Glasflächen unterbrochene und zu 30% begrünte Außenfläche (Bild Fassade) in der jetzigen Planung ausweist.

Fassadenelement

In dem Flugblatt wird ebenfalls beschrieben, dass sich die Zufahrt des Lieferverkehrs gegenüber der James-Krüss Grundschule befinden wird. Dabei wird verschwiegen, dass dies nur für 6 Monate der Fall sein wird, bis die Umgehungsstraße fertig ist. Gleichzeitig wird von einer starken Zunahme des Verkehrs berichtet und außer Acht gelassen, dass die Umgehungsstraße einen Großteil des neuen und alten Verkehrs auf den Bereich hinter der Halle verlegt, mit viel weniger Belastungen für die Anwohner als heute.

Ein gutes Beispiel für die Lärmminderung ist der erste Abschnitt der Umgehungsstraße im Bereich Quitzowstraße, der den Verkehr und damit auch den Lärm stark reduziert hat.

Es ist unverständlich, warum die Initiative der betroffenen Bürger es mit der Darstellung der tatsächlichen Gegebenheiten nicht so genau nimmt und an vielen Stellen Dinge behauptet, die nicht zutreffend sind, denn auch ohne die guten Sitten des fairen Umgangs zu brechen, hat der Bürger und Anwohner als ein wichtiger Faktor in der Stadt, ein unbedingtes Mitsprache- und Beteiligungsrecht, wenn es um Entscheidungen geht, die seinen Lebensraum betreffen. Dies ist rechtlich durch das Bürgerbeteiligungsverfahren sogar gesetzlich verankert.
Es stehen sich vier Spieler gegenüber. Das Unternehmen Hamberger, das sich in Berlin engagieren will und in erster Linie etwas von seinem Geschäft versteht, - der Bezirk, im speziellen die Abteilung für Stadtentwicklung des Bezirksamtes Mitte, geleitet von Stadtrat Ephraim Gothe, das mit Planungsrecht Entwicklungen anstoßen und steuern kann, - Anwohner, die sich in der Bürgerinitiative Siemensstraße zusammengeschlossen haben und sich mit der Halle vor Ihren Fenstern statt der schönen Pappelallee nicht abfinden wollen und - die Politik, die wichtige zukunftsweisende Weichen für die Entwicklung Moabits auf dem ehemaligen Bahngelände stellen muss und sich davor scheut unpopuläre Entscheidungen zu treffen, weil die Gefahr droht, in den kommenden Wahlen nicht wiedergewählt zu werden.

In der Regel, wenn es zahlreiche unterschiedliche Gruppen gibt, die sich streiten, hilft ein Kompromiss. Für die Suche nach einem solchen braucht es ein vermittelndes Element, einen Akteur, der die streitenden Parteien zu einem Dialog zusammenführt, der vermeidet, dass es Verletzungen der guten Sitten, wie Fairness und ehrlichkeit im Umgang miteinander gibt und der selbst neutral ist. Diesen gibt es aber leider in dieser Form nicht. Dabei könnte das Zusammenspiel der unterschiedlichen Gruppen auch zu besonders guten Lösungen führen. Dies würde umso wahrscheinlicher werden, je konstruktiver, offener und ehrlicher sich die gemeinsame Suche aller Akteure nach guten Lösungen entfalten könnte.

Am ehesten ist diese Moderation in der Arbeit der Verwaltung zu sehen, die mit dem Verfahren der Bürgerbeteiligung diesen Part von Hause aus schon bedient, aber bei weitem nicht ausfüllt. Die Abteilungen Stadtentwicklung, Finanzen, Arbeit und Soziales haben weniger kurzfristige Interessen als die unter dem Damokles Schwert der Abwählbarkeit lebende Politik, - nur, wie jeder weiß, sind die Vorsteher der Ämter, die Stadträtinnen und Stadträte ja aus den politischen Parteien besetzt und damit leider auch selbst nicht mit zu großer Unabhängigkeit ausgestattet.

Es gibt ein paar Fakten in dieser Auseinandersetzung, die wohl keiner leugnen kann: Moabit braucht mehr Gewerbe, viele neue Arbeitsplätze, eine Umgehungsstraße, starke Partner und soll dabei gleichzeitig ein attraktiver Ort für seine Bewohner sein. Wenn wir aus der Negativspirale ausbrechen wollen, braucht es Veränderung, Dynamik und innovative Lösungen, die häufig das Ergebnis von Teamarbeit und Kooperation sind.

Die Stadtentwicklung im Bezirk Mitte hat mit der Umgehungsstraße und dem Ansiedeln von Gewerbe neben einem neuen Park in der Siemensstraße kluge Schritte für die wirtschaftliche Entwicklung Berlins an dieser Stelle getan. Ein Bereich wurde entwickelt, neues Gewerbe wie Tolmien und Hellweg angesiedelt und dabei der Geschäfts- und Teile des Individualverkehrs und dessen Lärm in den nördlichen Teil des Gewerbegebiets verlegt, deren Auswirkung auf die Anwohnerstraßen durch die abschirmenden Wirkung der Gewerbebauten noch weiter vermindert wird.

Das Gewerbegebiet ist eine ökonomisch und ökologisch geniale Lösung.

Nur es bleibt die Reibung an der direkten Schnittstelle zwischen Gewerbegebiet und Wohngebiet, die Fassaden der Gewerbetreibenden und im Speziellem die Hallewand von Hamberger.

Meine persönliche Vision für den konkreten Fall der Fassade dieser Halle wären üppige hängende Gärten als eine prachtvolle floristisch ökologisch Attraktion in Moabit und für ganz Berlin, gebaut mit Mitteln von Stadtumbau-West, dem Unternehmer Hamberger, unter Mithilfe der Anwohner angelegt und ganzer Stolz von zahlreichen Bürgern, Anwohnern und des neuen Unternehmens Hamberger, die gemeinsam aus einem Problem eine zukunftsweisende Lösung entwickelt hätten.

Nachträge zum Projekt sind bis 2014 unter diesem Artikel zu finden, danach unter diesem Artikel (hier bitte auch weitere Kommentare).

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