Gibt es bald wieder zugemauerte Fenster in Moabit?

Spenerstraße 5 - ein neuer Bauskandal?

Wer erinnert sich nicht an die unzähligen Medienberichte über das Küchen- und Badfenster von Helga Brandenburger in der Calvinstraße 21. Im Fernsehen konnten wir sie sehen, wie sie ein Fenster öffnet und an den Beton direkt davor klopft. Das Foto erschien in vielen Zeitungen. Öffentlich wurde dieser Skandal aber erst gut eineinhalb Jahre nachdem im April 2010 der Neubau auf der Ecke Melanchthon-/Calvinstraße die Höhe ihrer Fenster erreicht hatte. Sie kam vom Arzt und plötzlich war es dunkel in Küche und Bad. Trotz Abstandsflächen in der Berliner BauOrdnung hatte das Bauamt den Neubau genehmigt, denn der Eigentümer beider Grundstücke war der gleiche. Damals machten einige Mietaktivisten der Mieterin den Vorwurf, dass sie sich nicht mit einer einstweiligen Verfügung gewehrt habe - schließlich wurde mit dem Neubau direkt vor ihrem Fenster ihr Mietvertrag verletzt. Doch lässt sich im Nachhinein feststellen, dass ihre Vorsicht durchaus angebracht war.  Möglicherweise wäre sie jetzt pleite, wenn sie Schadensersatz für die Bauverzögerung hätte zahlen müssen. Sicher ist das jedoch nicht, vielleicht hätte das Gericht auch anders entschieden. Das Urteil von Amtsrichter Noffke "Die Mauer muss weg", wurde im Berufungsverfahren vom Landgericht ein dreiviertel Jahr später aufgehoben, was der BGH später bestätigte. Wegen "Überschreiten der Opfergrenze" könne ein Rückbau nicht verlangt werden. Der Mieterin blieb lediglich die Mietminderung.

Doch kommen wir endlich zu dem neuen "Fall". Parallel zur Calvinstraße verläuft die Spenerstraße, und auch hier stehen viele in den 1960/1970er Jahren errichtete Sozialbauten, die heute längst aus der Bindung gefallen sind. Sie wurden entsprechend der damaligen Philosophie "Licht, Luft und Sonne" in aufgelockerter Bauweise errichtet, Mietskasernen und Hinterhöfe lehnte man damals ab. Zeilenbauten mit viel Abstand, begrünte Höfe, manchmal auch recht viel Parkplatzflächen. Hier sehen Grundstückseigentümer heute Potential zur Nachverdichtung. So hat laut Genehmigungslisten des Fachbereichs Bau- und Wohnungsaufsicht des Bezirksamts Mitte die Firma Eichmann im Hof der Spenerstraße 10 und 10a Neubau geplant, was schon im März 2017 (Monatsliste nicht mehr online, jetzt Gesamtgenehmigungsliste 2017, hier Seite 11 oben) genehmigt wurde. Und das obwohl auf der firmeneigenen Webseite mit dem schön gestalteten Grün, der guten Belichtung und vielen Sonne geworben wird. Auch hinter der Spenerstraße 4 und 5 soll neu gebaut werden. Eine schriftliche Anfrage (KA o4o8/V) in der BVV Mitte wurde bereits beantwortet. Dort heißt es, dass die Erteilung von Ausnahmen und Befreiungen (§ 31 BauGB) städtebaulich vertretbar sei und keine nachbarlichen Beeinträchtigungen hervorriefe.

Die Recherche nach den Eigentümergesellschaften der Fortis Group führte zur Primus Projekt Bestand Spenerstr. 4, 5 B GmbH (vormals DKW Projekt ..., vormals Fortis .... ) und schließlich auch zu einer DKW Projektentwicklung Spenerstr. 6 B GmbH. Stopp: Spenerstraße 6? Das ist ein nicht bebautes Grundstück zwischen der Spenerstraße 7 mit einer Brandwand und der Spenerstraße 5 mit Balkonen und je Etage drei Fenstern zur Baulücke. Das Bauamt vertritt die Auffassung, dass der Eigentümer entsprechend der geltenden Rechtsprechung zum Baunutzungsplan ein Baurecht hat, wie aus der Antwort auf die Frage 2 der o.g. Anfrage zu entnehmen ist. Wörtlich heißt es: "Sollten im Bestandsgebäude Fenster zugemauert werden, so ist das eine privatrechtliche Angelegenheit zwischen Eigentümer und Mietern." Im übrigen teilte Frau Lier, Leiterin des Stadtentwicklungsamtes, auf Anfrage der Initiative "Wem gehört Moabit?" mit, dass in der Spenerstraße 5 Grundrissänderungen vorgesehen seien. Aus drei kleinen Wohnungen je Stockwerk, die zu dieser Seite des Hauses liegen, sollen zwei Wohnungen mit innen liegenden Bädern gemacht werden, so dass die Fenster nicht mehr benötigt würden.

Aber dort wohnen doch schließlich Menschen! Auch wenn einige Wohnungen im Haus schon leer stehen. Wie kann verhindert werden, dass sie unter Druck gesetzt und verdrängt werden? Sollte das Bezirksamt vielleicht ein Sozialplanverfahren finanzieren, auch wenn das Gebiet noch nicht als Milieuschutzgebiet festgesetzt ist, sondern erst die Untersuchungen dafür stattfinden? Die BVV hat bereits einen Aufstellungsbeschluss dafür abgestimmt, aber angeblich sind die Untersuchungen noch nicht weit genug vorangeschritten (vgl. wieder Antwort o.g. Anfrage). Mit Milieuschutz könnten Grundrissänderungen vom Bauamt verhindert werden.

Aber auch die Mieter selbst können viel erreichen! Denkt an das Beispiel der Calvinstraße. Nachdem das Landgericht im Oktober 2013 die Klage des Vermieters zur Duldung der Modernisierung abgewiesen hatte, kündigte dessen Rechtsanwältin noch im Gerichtssaal eine neue abgespeckte Modernisierungsankündigung an, die bis heute - 5 Jahre später - noch nicht eingegangen ist. Mieterinnen und Mieter, holt Euch Rechtsberatung! Ihr müsst Grundrissänderungen nicht zustimmen! Kämpft für Eure Mietverträge.

Dieser Artikel wurde übernommen von der Webseite "Wem gehört Moabit?"

Nachtrag:
Hier eine aktualisierte Version des Artikels im MieterEcho mit den zwischenzeitlich ausgesprochenen Verwertungskündigungen!

Artikel im MieterMagazin 4/2019.

Zu den Baumfällungen von Februar 2019 für den Neubau ein im Juli beantwortete Kleine Anfrage (0572/V) in der BVV Mitte (auf 2. Antwort vom 2.7.19 klicken !)

Verwaltungsverfahren zur Zweckentfremdung von Wohnraum können sich sehr lange hinziehen. So war es auch in der Spenerstraße 4-5, wo zunächst der Argumentation des Eigentümers gefolgt wurde, dass die Herrichtung der Wohnungen zur Wiedervermietung nicht zumutbar sei. Es sind dann jedoch zunächst für 10 Wohnungen sog. "Rückführungsanordnungen" ergangen, die nach Aussage von Mieter*innen dazu geführt haben, dass Lastwagen vorfuhren, Möbel abluden und Bauarbeiter für einen Tagessatz von 18 Euro pro Bett einquartiert wurden - und zwar 8 Personen in Stockbetten in 2-Zimmer-Wohnungen. Lärm und aus den Fenstern fliegender Müll sind die vermutlich nicht unbeabsichtigte Folge für die verbliebenen Mieter*innen. Dazu eine Schriftliche Anfrage (0709/V) in der BVV Mitte (auf 2. Antwort vom 11.10.2019 klicken!)

Im Oktober mal wieder die Antwort auf eine Kleine Anfrage (KA 0163/VI) mit wenig Inhalt, es ist nichts geklärt, Bauanträge werden nur im nicht-öffentlichen Teil des Stadtentwicklungsausschusses verhandelt.

Einwohner*innen-Anfrage von Oktober 2022 zum Bauantrag auf Lückenschluss und zur Zweckentfremdung (auf 2. Antwort klicken!).

In der Genehmigungsliste von Juni 2023 steht: "Errichtung eines Wohnensembles mit drei Neubauten, einem Neubau als Lückenschließung und Tiefgarage". Warum wurde das jetzt trotz Milieuschutz genehmigt? In Milieuschutzgebieten sind doch Grundrissänderungen nicht zulässig, die aus kleinen Wohnungen große machen? Im Abgeordnetenhaus hat Jian Omar (Bü90/Grüne) eine Anfrage dazu gestellt, hier die nicht wirklich befriedigende Antwort.

Die Anfrage der CDU wegen der unhaltbaren Zustände in der Spenerstraße 4 + 5 (Drucksache 1086/VI) wurde beantwortet - aber wie? Wir haben leider nichts festgestellt. Die Mieter*innen kämpfen seit 2018 mit Überbelegung, gewerblicher Vermietung, Müll, Ratten und jetzt auch mit Kakkerlaken. Es ist unglaublich, dass es keine Hilfe vom Bezirksamt gibt.

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By Susanne Torka