Ein Theater geht. »Mikro-Apartments« kommen

Stadttheater Moabit, Blick in den Saal 1907, Verlag Hartwig & Vogel's Automaten, Berlin W., Wikimedia Commons

Wenn nicht noch ein großes, großes Wunder geschieht, steht demnächst der Abriss des legendären Hansa-Theaters bevor – im 130. Jubi­läumsjahr des Gebäudes. Ein Bauantrag des neuen Grundstücks­eigentümers wurde bereits bei der zuständigen Sanierungs­ver­wal­tungs­stelle des Bezirksamts gestellt. An der Stelle der beliebten Berliner Bühne sollen nun – Überraschung! – Mikro-Apartments entstehen.

Das Hansa-Theater in der Straße Alt-Moabit Nr. 48 gehörte zu den legendärsten Bühnen der Stadt. 1888 hatte die Kronenbrauerei das Hofgebäude als Festsaal mit über 1700 Sitz- und Stehplätzen errichtet, der ein Jahr später zum »Stadttheater Moabit« wurde. Um 1913 baute man es zum »Filmpalast Hansa« mit ca. 800 Plätzen um: Kinos schossen damals in Berlin wie Pilze aus dem Boden, das städtische Publikum begeisterte sich für das neue Medium.

Miriam Goldschmidt (hier im Hof des »Engelbrot und Spiele« ) spielte 2007 in »Glückliche Tage«

1963, als die Fernseher in die Privathaushalte einzogen und damit die Kinoflaute einsetzte, begann für das »Hansa« eine neue Ära: nun wieder als Stadttheater und Bühne für Boule­vard- und Komödien­aufführungen. Ein Theater blieb es dann auch mit Unter­brech­ungen bis zu seiner endgültigen Schließung im Jahr 2009 und einem geschei­terten Wieder­be­lebungs­versuch 2011.

Das Hansa-Theater war äußerst beliebt und glänzte mit Stars: Axel von Ambesser, Eddi Arent, Marlene Dietrich, Heinz Erhardt, Paul ­Esser, Herbert Fritsch, Brigitte Grothum, Maria Mallé, Boleslaw ­Barlog, Harald Juhnke, Brigitte Mira, Ilja Richter und Angelika ­Milster spielten und inszenierten hier. Es war ein Volkstheater im schönsten Sinn. Das Publikum liebte aber nicht nur die Stars, sondern auch den Theatersaal mit Guckkastenbühne, Rang und den ­roten Plüschsesseln.

Weniger anhänglich war wohl der frühere Bezirk Tiergarten (heute Teil des Bezirks Mitte) – sowohl der Altbezirk als auch der neue Großbezirk hielten es offenbar nicht für nötig, das Theater unter Denkmalschutz stellen zu lassen. So kam es, dass nach den letzten Wiederbelebungsversuchen als Theater um 2011 das Interieur gefleddert wurde und nun das gesamte Gebäude dem Abriss preisgegeben ist.

Blick in den Theatersaal, 2008
ehemaliger Bühneneingang

Die neuen Eigentümer, die 2011 die Mietshäuser Alt-Moabit 47–49 erwarben und damit auch den alten Theatersaal im Hinterhof, wollen an dieser Stelle ein Gebäude mit 112 Apart­ments errichten. Die meis­ten davon sind zwischen 25 und 35 Quadratmetern groß, nur wenige etwas großzügiger geplant. »Mikro-Apartments« sind derzeit der große Bautrend in Berlin, lässt sich doch – angesichts der großen Wohnungsnot und anhaltend niedriger Zinsen – mit wenig Aufwand eine groß­artige Rendite erzielen. Schon Studenten zahlen für möblierte Mini-Quartiere um die 20 Quadratmeter mehr als 600 Euro, wenn sie oder ihre Eltern es sich leisten können, weil es kaum noch Alternativen gibt. Zudem gibt es auch immer mehr Singles, immer mehr Teilzeitberliner, die gern einen Koffer in der Metropole parken, und immer mehr Leute, die ihr Geld in Betongold anlegen. Da wird dann auch nicht mehr nach Wohnqualität gefragt.

Die Wohnungen im geplanten Neubau Alt-Moabit 48 sind meist einseitig ausgerichtet. Ein »Missstand« ist zudem die enge Hofsituation. Belichtet und belüftet, wie es eigentlich nach modernen Standards notwendig wäre, wird dort kaum noch. Wohnungsgrößen von 25 bis 35 Quadratmetern bedeuten zudem, dass dies für Familien mit Kindern sowieso nicht in Frage kommt. Es sei denn, man kehrte wieder zu Wohnverhältnissen zurück, wie sie Heinrich Zille um 1900 zeichnete – aber dafür werden die Mieten der Apartments zu hoch sein. Ob man ein solches Bauvorhaben überhaupt genehmigen kann, wird deshalb unter den Sanierungs­beteiligten diskutiert. Das Grundstück liegt in einem deklarierten Sanierungsgebiet und bedarf daher besonderer Genehmigungs­verfahren. Die zuständigen Mitarbeiter der bezirklichen Sanierungs­verwaltung prüfen derzeit die Zulässigkeit des Bau­vor­habens. Mitarbeiter des gebiets­betreuenden Büros KoSP und der Senatsverwaltung argumentieren, das Sanierungs­recht berech­tige durchaus zu einer Ablehnung. Die geplante Dichte sei städte­baulich nicht verträglich. Und das Sanierungs­recht ziele ja genau darauf, »städtebauliche Missstände« zu beseitigen – und nicht darauf, sie wiederherzustellen.

Kommentar
Grundsatzfrage Grundgesetz

Städtebauliche Missstände sind Verhältnisse, wie sie Zille damals zeichnete: enge, dunkle Hinterhöfe, überbelegte Wohnungen ohne Sonnenlicht. Das bundesdeutsche Sanierungsrecht wurde in der Nachkriegszeit geschaffen, um genau solchen Missständen nach den wesentlichen Leitbildern der Moderne abzuhelfen. Nun scheint alles wieder auf Kaiserzeit-Verhältnisse zurück zu schnurren – nur eben mit WLAN, exorbitanten Mieten und für zahlungskräftige kinderfreie Bewohner. Die Frage ist dann, wozu das Sanierungsrecht überhaupt noch taugt, wenn es nicht einmal mit diesem besonderen städtebaulichen Instrument möglich sein sollte, solche Bauvorhaben zu versagen. Natürlich werden die Eigentümer, wenn ihnen ein Bauvorhaben nicht genehmigt wird, vor Gericht ziehen, es geht ja um viel Geld. Aber es geht eben auch um die Stadt, und deshalb kann das dem Land Berlin nicht egal sein. Letzten Endes aber kommt es auf die Gerichtsurteile an, und damit landet man zwangsläufig beim Grundgesetz, das Eigentum schützt, aber auch sagt: Eigentum verpflichtet. Nur: wozu genau, in Zeiten der Globalisierung?

Gastautorin und Kommentatorin: Ulrike Steglich
zuerst veröffentlicht in: »ecke turmstraße«, Ausgabe Nr. 7/2017 (Nov./Dez. 2017),
Fotos: Jürgen Schwenzel

Weitere Artikel zum Hansa-Theater bei MoabitOnline:
Hansa-Theater, Textübernahme von hansa-theater-berlin.de, Jan. 2007
Engelbrot statt Hansa-Theater, von Aro Kuhrt, Mai 2007
Theater Engelbrot & Spiele schließt Ende März, von Susanne Torka, März 2009
Der letzte Vorhang ist verkauft, Oliver Lock, März 2014

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Nachtrag:
Das Bauvorhaben ist bauaufsichtlich genehmigt, aber nicht sanierungsrechtlich. Es bleibt spannend, wie die Berliner Woche schreibt.

Es gibt noch Verhandlungen zwischen Bezirk und Eigentümer (Berliner Abendblatt).

Klaus Lederer: Das Aus ist besiegelt (Berliner Morgenpost und Kulturradio).

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