Ehrenamt-Almosen-Anerkennung

Livebericht aus dem Schildbürgertum

Das soziale Netz ist löchrig geworden, wenn auch im internationalen Vergleich noch gut ausgestattet. Städte und Kommunen leiden unter Finanznöten oder wie im Falle von Berlin, unter den ganz beträchtlichen Zinslasten der enormen Schulden. Öffentliche Aufgaben, von der Pflege der Grünanlagen bis zur Förderung von Einrichtungen, die sich um die Kinder, Jugendlichen und Senioren kümmern, werden zusammengestrichen. Daneben existieren zahllose Vereine und Gruppierungen, in denen sich Menschen ehrenamtlich engagieren. 2009 waren es immerhin 36 Prozent der Bevölkerung, die meist in Vereinen freiwillig und kostenlos mitarbeiten.

Eine Studie des Familienministerium für 2009 hat ergeben, dass sich 10,1 Prozent im Bereich Sport und Bewegung, 6,9 Prozent in Schule und Kindergarten sowie Kirche und Religion, 5,2 Prozent im sozialen Bereich, 5,2 Prozent im Bereich Kultur/Musik betätigen, um hier nur die vier zahlenstärksten zu nennen. Volkswirtschaftlich gesehen wird von den immerhin 23 Millionen Ehrenamtlichen ein großer Beitrag für die Gesellschaft geleistet. Ihn zu beziffern ist schwierig.

Zu diesem Zweck sei ein Gedankenexperiment erlaubt. Wenn jeder ehrenamtlich arbeitende Mensch sich drei Stunden pro Woche einer Organisation in den Dienst stellt, so ergibt sich eine Jahresleistung von rund 2,2 Millionen Vollzeitstellen - eine enorme Summe!

Verglichen mit den insgesamt 28 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sind dies immerhin fast 8 Prozent. Eine große Kraft, die ohne Lobby dasteht.

Man erkennt in der Politik zunehmend, dass dieser Bereich von außerordentlicher Bedeutung ist, vor allem natürlich deswegen, weil die öffentliche Mittellosigkeit um sich greift. Statt sich aber nun mit dem Ausbau dieses Teils deutscher Wirtschaft zu befassen, hat man sich bisher darauf beschränkt, mit ein paar Worten, mit Anerkennung in kleinen Dosen oder mit an Almosen erinnernden Summen für Sachmittel den Ausbau von Ehrenamt gering zu schätzen. Der Klapps auf den Hinterkopf soll es sein, den man in den Ausbau investiert.

An anderer Stelle hingegen wird geklotzt, wenn man die Infrastruktur stärken will, die Förderung von erneuerbaren Energien oder die vielen Investitionen in Autobahnen auf denen wir dann die Geschwindigkeiten eines Exportweltmeisters erreichen können. Kraftanstrengungen, die zum Teil nachhaltige Erfolge verzeichnen.

Der Bereich Ehrenamt kann eine strukturelle Förderung brauchen. Große Steigerungsraten sind möglich. Dabei sollen nicht, wie häufig gemeint wird, die Ehrenamtlichen bezahlt werden, aber Anerkennung, Förderung mit Sachmitteln, dem Erleichtern zum Zugang zu Know-How oder Unterstützung in den Funktionen, die ehrenamtliches Arbeiten erleichtern und Erfolge schneller möglich machen, wären ratsam und notwendig.

Stattdessen wird tatenlos zugesehen, wie das Jobcenter die geförderten Stellen abschafft, die den Vereinen das Arbeiten zum großen Teil erst ermöglicht haben. Gleichzeitig wird den vielen Menschen ohne Arbeit, die Chance geraubt sinnvolle Beiträge für die Gesellschaft zu leisten und einen sanften Wiedereinstieg in das Berufsleben auf dieser Ebene zu finden.

Es wird Zeit, dass Ehrenamt als ökonomisch sozialer Wirtschaftszweig mit großem Potential gesehen wird und Investitionen in die Infrastruktur vorgenommen werden, die der Wirtschaftskraft angemessen sind. Das Investitionsprogramm kann sich aus Mitteln der Agentur für Arbeit speisen, denn Arbeit wird geschaffen. Arbeit, die geleistet werden muss, obwohl und gerade weil keine oder nur geringe privatwirtschaftliche Interessen damit verbunden sind - somit ein klassisches Betätigungsfeld für Politik.

Bild: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und Statistisches Bundesamt

Zuerst erschienen in der LiesSte, Zeitung für den Stephankiez, Nr. 19, Juli 2011

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