»Die Mitarbeiter haben Überragendes geleistet«
Mittes Gesundheitsstadtrat Ephraim Gothe im Gespräch über die heiße Pandemie-Phase, den Einsatz des Gesundheitsamts, Hotspots und Tourismus
Herr Gothe, im März und April hatten Sie alle Hände voll zu tun: vor allem als Stadtrat für Gesundheit, aber auch für Stadtentwicklung, zeitweise zusätzlich als stellvertretender Bezirksbürgermeister. Ging es denn in Ressort Stadtentwicklung überhaupt während des Lockdowns weiter?

Dort wurde wie fast überall in den Verwaltungen zunächst einmal vieles heruntergefahren und ins Home-Office verlegt, zudem war ein Teil der Mitarbeiter krisenbedingt als Verstärkung im Gesundheitsamt eingesprungen. Bei der Stadtentwicklung sind die Auswirkungen aber nicht so unmittelbar, weil z.B. Genehmigungsverfahren langwelliger verlaufen. Und auf den Baustellen wurde die ganze Zeit weitergearbeitet. Inzwischen fahren wir den Betrieb peu à peu wieder hoch, Mitte Mai waren wir wieder bei etwa 70% unserer Leistungsfähigkeit. Aber im Straßen- und Grünflächenamt herrscht immer noch Personalmangel, und so müssen auch größere Projekte wie der Spreeuferweg oder die Bremer Straße noch etwas warten.
Seit Anfang März war das Gesundheitsamt, das ja sonst eher unterbesetzt ist, im Corona-Großeinsatz. Können Sie uns kurz die Anfangsphase schildern?
Die heiße Phase dauerte von den ersten Märztagen etwa bis Ostern. Es war ein Ausnahmezustand: Quasi über Nacht richteten wir im Rathaus Wedding ein Lagezentrum ein, das Personal beim Infektionsschutz wurde von 20 auf 160 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hochgefahren. Es war eine tolle Erfahrung, binnen kürzester Zeit ein so großes, so hochmotiviertes Team zusammenzukriegen. Aus allen Ämtern sprangen je zwei oder drei Personen ein und übernahmen Telefondienste, u.a. bei der Corona-Hotline des Bezirks, das Ordnungsamt stellte Fahrzeuge zur Verfügung. Insgesamt waren sechs Ärzte-Teams im Einsatz, um Kontaktpersonen zu besuchen und zu testen.
Auch viele Freiwillige aus dem medizinischen Bereich meldeten sich: Ärzte, Studenten; zwei kamen vom RobertKoch-Institut und zwei vom Landesamt für Gesundheit und Soziales. Also viele Spezialisten, die wir gut brauchen konnten. Und der Amtsleiter des Gesundheitsamtes Mitte, Dr. Murajda, ist ja selbst Virologe und hat sehr gute Kontakte. So verfügten wir über ein fachkundiges medizinisches Team, das darüber hinaus auch gut mit der Forschung vernetzt ist. Im Labor der Charité werden unsere Tests analysiert, mit dem Institut von Dr. Christian Drosten pflegen wir sehr guten und stetigen Kontakt. Wir haben also eine erstklassige wissenschaftliche Beratung.
Wie ging es dann weiter?
Zu Ostern wurde klar, dass aus dem Sprint ein Marathon wird, die Grundstruktur und Eindämmungsstrategie musste also fortgeführt werden. Zum Glück arbeiten einige der Ärzte, die sich freiwillig meldeten, nun auf Honorarbasis weiter, und ich hoffe, dass sie jetzt auch länger beim Gesundheitsamt bleiben: Wir haben da noch ungefähr zehn offene Stellen. Derzeit arbeiten also 20 Ärzte im Gesundheitsamt.
Zudem haben wir das Test-Areal auf dem Zentralen Festplatz, dort verlaufen die Tests inzwischen wesentlich effektiver und wir haben freie Kapazitäten, man kann jetzt auch zu Fuß oder mit dem Rad kommen. Getestet werden Bürger aus Mitte, die flüchtigen Kontakt mit einer infizierten Person hatten und Symptome haben, vor allem aber Mitarbeiter des Bezirksamts, medizinisches Personal, Pflegekräfte z.B. aus Seniorenheimen, Apotheker. Notwendig ist aber zuvor ein Anruf.
Auf welche Hotspots sind Sie in der ersten Phase gestoßen, wo kam es zu den meisten Infektionen?
Zunächst in den Kneipen, Clubs und Bars. Es fing mit der »Trompete« in der Lützowstraße an, wo am Abend des 29. Februar ca. 30 Personen von einem einzigen Infizierten angesteckt wurden. Und am Wochenende vor der Schließung der Clubs kam es noch in Kater Blau am Holzmarkt zu Ansteckungen. Die Clubschließung war also ein sehr wichtiger Schritt. Es gab aber auch einen Kirchenchor als Infektionsherd, bei dem uns der personelle Zusammenhang lange nicht klar war. Beim gemeinsamen Singen scheint sich das Virus besonders schnell zu verbreiten. Später ging es vor allem darum, zu verhindern, dass Pflegeheime und Krankenhäuser sich zu Hotspots entwickeln. Ein Pflegeheim mussten wir z.B. komplett unter Quarantäne stellen, nachdem sich herausgestellt hatte, dass eine Putzfrau infiziert war.
Im Nachhinein muss man sagen: Hätten wir in den ersten Tagen mehr solcher Hotspots wie die »Trompete« gehabt, wäre eine Nachverfolgung unmöglich geworden. Doch in den letzten Wochen haben wir festgestellt, dass wir so gut wie alles nachverfolgen konnten. Insgesamt war es eine gute gemeinsame Leistung Berlins.
Spielten in Mitte zu Beginn auch Skiurlauber z.B. aus Österreich eine Rolle?
Es gab tatsächlich viele, die von dort Corona mitbrachen, beispielsweise Rückkehrer aus Südtirol. Über die Clubs und Bars verbreitete sich das Virus dann weiter. In Mitte war zunächst eine klar begrenzte soziale Gruppe betroffen, also eher die gutsituierte, hedonistische. Dagegen waren migrantisch geprägte Milieus, z.B. im Wedding, weit weniger betroffen.
Eine Milieustudie könnte weiterhelfen, die Verbreitungen in Mitte und ganz Berlin zu erklären. Auffällig war beispielsweise die geringe Zahl der an Corona Verstorbenen in Mitte, obwohl wir unter den Berliner Bezirken immer die höchste Gesamtzahl von Infizierten hatten. Eine Ursache könnte sein, dass viele jüngere Personen hier leben, die aus anderen Bundesländern zugezogen sind. Bei ihnen war jedoch die Möglichkeit der Weitergabe an die Risikogruppe der älteren Generation gering, da deren Eltern und Großeltern ja nicht in Berlin wohnen. Dagegen sind die Infektionsketten in Berlin interessanterweise kaum in familiäre Verbände wie zum Beispiel in türkische Großfamilien vorgestoßen.

Ende März wurden für den Bezirk Mitte noch etwa 200 neue Fälle pro Woche registriert, Mitte Mai dagegen nach Angaben des RKI nur noch sieben. Es gibt also inzwischen viel weniger Infizierte und Kontaktpersonen. Welche Aufgaben übernimmt das Gesundheitsamt in dieser Phase?
Trotz wesentlich geringerer Fallzahlen ist der Aufwand nach wie vor sehr hoch. So können an einem einzigen Fall sehr viele Kontakte hängen. Bei der Putzfrau im Pflegeheim waren es allein rund 200, die getestet werden mussten. Wir brauchen also die medizinischen Teams immer noch dringend.
Arbeitsintensiv war auch die Einrichtung der bislang einmaligen Quarantäne-Station für wohnungslose Erkrankte samt einer rund um die Uhr geöffneten Herberge, die zusammen mit der Berliner Stadtmission und mit Unterstützung der Sozialsenatorin aufgebaut werden konnte.
Und es besteht großer Beratungsbedarf. Der Fokus liegt hier bei Schulungen zu Hygieneregeln in den Pflegeeinrichtungen und Altersheimen. Zudem sollen Schulen und Kitas möglichst schnell Hygienekonzepte aufstellen und umsetzen. Da wir es nicht schaffen, in kurzer Zeit alle 56 Schulen in Mitte zu begehen, coachen wir gezielt die Schulleitungen in gemeinsamen Terminen.
Ganz wichtig ist auch der von uns eingerichtete digitale Chatbot »Dein Gesundheitsamt Mitte«, der sehr gut läuft und die Hotline doch sehr entlastet. (s.u.)
Mitte ist auch ein Hotspot des Tourismus. Besteht nicht die Gefahr, dass durch Touristen und Besucher die Infektionszahlen wieder in die Höhe schnellen?
Ganz sicher besteht die Gefahr. Derzeit sind viele Grenzen ja noch geschlossen. Andererseits sind Hotellerie und Gastronomie gerade auf Berlinbesucher dringend angewiesen. Wir müssen also sehr auf die Einhaltung der Hygienevorschriften in den Beherbergungsbetrieben achten. Ich kann mir zum Beispiel kaum vorstellen, dass in den Hostels derzeit wieder Schulklassen in Mehrbettzimmern übernachten. In größeren Hotels dagegen kann man durch organisatorische Maßnahmen die Ansteckungsgefahr deutlich reduzieren. Für das lokale Infektionsgeschehen entscheidend sind aber auch die Verhältnisse in den Urlaubsorten, in denen Berliner Urlaub machen. In Deutschland werden also die Gesundheitsämter insgesamt kooperieren und eine sehr gute Mannschaftsleistung erbringen müssen.
Zum Schluss: Hätten Sie sich jemals träumen lassen, dass Sie einmal mit dem Gesundheitsressort so gefordert sind?
Nein, ganz sicher hätte ich mir das nicht träumen lassen. Und dabei hatte ich schon vor zwei Jahren, als das Gesundheitsamt von Schimmel befallen war mit allen Konsequenzen, geglaubt: Wenn wir das schaffen, bin ich eigentlich für alles gewappnet.
Lassen Sie mich an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen und den Kollegen im Bezirksamt und in der Senatsverwaltung, den vielen Freiwilligen, Helferinnen und Helfern danken, die in den letzten Wochen dabei geholfen haben, das Containment so erfolgreich durchzuführen. Vor allem aber haben natürlich die Mitarbeiter des Gesundheitsamtes Überragendes geleistet, oft bis spät in die Nacht hinein und über das Wochenende. Für mich war es eine geradezu berauschende Erfahrung zu erleben, was man gemeinsam alles schaffen kann, was Verwaltung leisten kann, wenn man auch mal die eingefahrenen Wege verlässt. Das war ein echtes Gemeinschaftserlebnis.
Interview: Christof Schaffelder, Ulrike Steglich, Fotos: Christoph Eckelt, bildmitte
Den Chatbot des Gesundheitsamts Mitte findet man im Internet mit dem Link: bots.chatbottery.com/Gesundheitsamt
Zuerst erschienen in der "ecke turmstraße", Nr. 2 - juni 2020