Die Arminius-Markthalle
Was wird aus dem Original-Einkaufs-Center?
Es gab Zeiten, da musste man beim Samstagseinkauf in der Arminius- Markthalle in Moabit beim Fisch oder beim Fleisch oder für Obst und Gemüse Schlange stehen, zehn, fünfzehn, manchmal zwanzig Minuten. Und man tat es gern, die Wartezeiten haben niemanden davon abgehalten, zum Einkaufen in die Halle zu gehen. Im Ökoladen standen die Leute bis am Ende und noch einmal um die Ecke herum. Das machte nichts. Auch ohne Modenschau und Schlageroldie war der Einkauf zwar kein Event, aber ein Erlebnis.
Wer heute in die Markthalle kommt, sieht vor allem bis auf den mit Bordsteinkanten abgesteckten Grundriss abgebaute Stände, da sind nur wenige Händler übrig geblieben, große Flächen sind für einen Billigmarkt und einen Schlecker abgeschachtelt. Mit Wehmut denkt man dann zurück, denn die Zeiten der Markthalle sind wohl vorbei.
Das Einkaufsverhalten der Menschen hat sich grundlegend gewandelt. Nicht einmal die Supermärkte sind noch in der Lage, die Discounter über den Preis zu schlagen, um wie viel weniger die Einzel- und Markthändler. Auch die Öko-Produkte werden nicht mehr nur in kleinen alternativen Läden angeboten, ungefähr 300 Bio-Supermärkte mit bis zu 1.800 Quadratmetern Verkaufsfläche konnten ihren Umsatz im vergangenen Jahr um 15 bis 20 % steigern (Die Zeit, 16.3.2006).
Wie sehr das Einkaufsverhalten der Menschen sowohl das Stadtbild als auch die Stadtentwicklung prägt, ist deutlich zu sehen an den zahlreichen großen Kaufhäusern, die im Übergang vom 19. ins 20. Jahrhundert gebaut wurden In ihrer Umgebung blühten die Geschäftsstraßen. Und es ist deutlich zu sehen an den vielen Einkaufscentern, die heute, hundert Jahre später, allüberall hingestellt werden, und von denen man sich den gleichen Effekt erhofft, den die Kaufhäuser hatten. Heute geht es darum, einstmals blühende Geschäftsstraßen wieder zu beleben.
Heute stehen nicht nur Läden oder Kaufhäuser in Konkurrenz zueinander, sondern eben Geschäftsstraßen und Center. Da liegt die Turmstraße in Moabit ganz weit hinten und doch mittendrin. In nur wenigen Minuten ist über die U-Bahn-Linie 9 Karstadt am Leopoldsplatz zu erreichen, in noch weniger Minuten Wertheim am Ku-Damm, und wem es auf ein paar Minuten mehr oder weniger überhaupt nicht ankommt, kann gleich bis zur Schlossstrasse in Steglitz fahren, dort hat er gleich zwei große Kaufhäuser, dazu ein mit viel Trallala eröffnetes Center am einen und das Forum Steglitz und demnächst ein weiteres Center am anderen Ende.
Ist dem Moabiter das noch nicht genug, kann er über den S-Bahn-Ring, auch hier handelt es sich nur um Minuten, gleich mehrere Center erreichen (Gesundbrunnen, Schönhauser Allee, Frankfurter Allee und so weiter). In keinem Center ist zwar etwas zu finden, was in einem anderen nicht vertreten ist, aber das macht nichts, wenn ein neues eröffnet wird, strömen die Leute dahin, als stehe die Neuerfindung des Konsums bevor. Selbstverständlich stehen die Center untereinander auch im Konkurrenzkampf, und in einem solchen bleiben immer welche auf der Strecke. Mal sehen, welches es trifft.

Sowohl in Supermärkten als auch in Centern ist immer wieder zu beobachten, dass einzelne Stände eine Marktsituation simulieren, dass für so genannte Frische-Theken in einer Art Bühnenbild das wieder aufgebaut wird, was beispielsweise in der Arminius-Markthalle immer weiter abgebaut wurde. Die Markthalle ist das Einkaufs-Center des späten 19. Jahrhunderts. Warum überfällt uns Wehmut, wenn wir hineingehen? Weil wir die letzte Blüte noch erlebt haben und die beeindruckende Backsteinarchitektur noch steht. Im Gegensatz zu heutigen Centern ist das keine flüchtige Dekoration, sondern original. Es wäre doch nur allzu schade, wenn ein solches Bauwerk keine Funktion mehr hätte. Aber welche Funktion?
Den Centern Konkurrenz machen? Darin sieht der Geschäftsführer der Berliner Markthallen Foidl keine Perspektive. Ebenso wenig darin, die Hallen irgendwelchen Discountern zu überlassen. „Großflächigen Einzelhandel haben wir genug in Berlin“. So bleiben wie es ist, kann es auch nicht, das ist offensichtlich. „Die Welt draußen hat sich eben verändert“, sagt er, „die Markthalle aber nicht.“ Außer der Arminiushalle werden auch die beiden Kreuzberger Markthallen, Marheinekehalle und Eisenbahnhalle, von der Berliner Großmarkt GmbH verwaltet und dort denkt man, so Foidl, grundlegend über die Zukunft der Hallen nach. Ein Ansatz könne sein, bewusst Qualität anzusiedeln, damit auch Kunden aus anderen Teilen Berlins kommen. Es gelte ein Konzept zu entwickeln, dass den Spagat schafft, einerseits mehr Qualität anzubieten und damit auch ein anderes Preisniveau in Kauf zu nehmen und andererseits die Bindung zur umliegenden Bevölkerung wieder zu finden. Das mutet utopisch an, und Einzelheiten will Foidl noch nicht verraten. Nur soviel, dass es um neue Ideen gehen wird und er „über den Tellerrand gucken“ will. Auch das „Meilenwerk“, sagt er, war eine neue Idee. Und die funktioniert gut. In den nächsten eineinhalb Jahren hofft er ein Konzept umsetzen zu können.
Text: Burkhard Meise, Fotos: Mirko Zander und Regina Ross, zuerst gedruckt in: stadt.plan.moabit, Nr. 39, Mai 2006
Noch ein Text zur Arminius-Markthalle erschien, als es stadt.plan.moabit schon nicht mehr gab, im stadt.plan.mitte. Er ist hier dokumentiert:
Die Moabiter Markthalle steht zum Verkauf
Das Ende eines der schönsten Einkaufszentren
Sie nimmt einen ganzen Baublock ein. Sie ist über 5.200 Quadratmeter groß. Sie wird von einer filigranen guss- und schmiedeeisernen Konstruktion und 72 schlanken Säulen getragen. Sie lässt viel Licht von oben herein. Von außen wirkt sie durch den roten Backstein massiv und stark, von innen eher leicht, lichtdurchflutet und transparent. Die Arminius-Markthalle in Moabit gilt als die schönste derer, die den Krieg überlebt haben. Sie ist sehr einfach, sehr funktional im Stile des ausgehenden 19. Jahrhunderts gebaut, und obwohl in der Fassade und in der Deckenkonstruktion ein paar kathedrale Elemente aufgenommen wurden, ist sie genaugenommen nicht mehr als ein überdachter Markt. Und tatsächlich wurde sie 1892 auf den Platz gebaut, auf dem bis dahin der Moabiter Wochenmarkt stattfand. Der Berliner Magistrat ließ seinerzeit zehn solcher Hallen bauen, um die Versorgung der schnell wachsenden Großstadt mit Lebensmitteln und die hygienischen Umstände im Handel zu verbessern. Heute steht die Arminius-Halle unter Denkmalschutz.
Doch eine Markthalle wird sie in Zukunft nicht mehr sein. Betreiberin und Eigentümerin der Halle ist die Berliner Großmarkt GmbH. Und die wirkt, was die Zukunft der Moabiter Halle angeht, schon seit Jahren etwas ratlos. Das kann man denen nicht unbedingt vorwerfen. Was soll man auch machen, wenn eine Markthalle vom Publikum nicht mehr angenommen wird? Wir alle, die wir die Halle mögen und auch als nachbarschaftlichen Treffpunkt geschätzt haben, haben lange und wehmütig der Tage gedacht, da man in der Arminius-Halle noch Schlange stehen musste, da das sinnliche Markttreiben über den Bezirk hinaus ausstrahlte und Kunden anzog. Heute stehen zwanzig Verkaufsstände leer, und dieser Leerstand bestimmt mehr als alles andere die Atmosphäre. Andreas Foidl, Geschäftsführer der Berliner Großmarkt GmbH: „In der Arminius-Halle lässt sich ein engagiertes Food-Konzept angesichts des direkten Umfelds nicht umsetzen.“
Nun hat die Berliner Großmarkt GmbH den Liegenschaftsfonds des Landes Berlin mit dem Verkauf der Halle (und der Eisenbahnhalle in Kreuzberg) beauftragt. Der Liegenschaftsfonds fungiert hier aber nur als Makler, die Hallen sind nicht Eigentum des Landes Berlin, sondern der Großmarkt GmbH. Die Markthallen sind nunmehr nur noch Immobilien. Foidl: „Die Gründe für den Verkauf der Markthallen liegen in der fehlenden Rentabilität und im weiterhin sehr hohen Investitionsbedarf auf dem Großmarktgelände.“ Zehn Millionen Euro hätte man in Kreuzberg und Moabit investieren müssen, das aber erst in fünf bis sieben Jahren gekonnt. Dass ein Investitionsbedarf auf dem Großmarktgelände als Grund eine Rolle spielt, stimmt einen schon ziemlich ärgerlich. Denn nun spart der Großmarkt nicht nur die Investitionen, sondern nimmt, wenn der Verkauf glückt auch noch den Verkaufserlös ein.
Zum Beispiel Kreuzberg
In die Marheinecke-Halle an der Kreuzberger Bergmannstraße hat der Großmarkt übrigens investiert, und die will er auch weiterhin betreiben. Zwar sieht es nach dem Umbau dort nicht mehr wie in einer Markthalle aus, sondern eher wie in einer Ladenpassage, in der sich sauber und in schönster Ordnung und ohne jedes markttypische Chaos ein Stand an den anderen reiht, aber es wird dort immerhin noch mit Lebensmitteln gehandelt, und das teilweise auf hohem Niveau. Es sieht zwar nach „engagiertem Food-Konzept“ aus, aber es geht. In Kreuzberg lebt eben ein anderes Publikum als in Moabit.
Ja, man kann die Entwicklung der Arminius-Halle als Trauerspiel sehen. Aber getrauert haben wir schon vor Jahren. Es ist vorbei. Jetzt ist die Markthalle eine Immobilie, und zwar eine sehr interessante Immobilie. Und jetzt ist die Frage wichtig, wer kauft sie und was hat er damit vor? Und wird der Bezirk im Sinne von Standortpolitik und Stadtentwicklung sich da einmischen und gezielt potentielle Käufer ansprechen, oder wird einfach der das Rennen machen, der den höchsten Preis zahlt?
Das Bezirksamt bereitet sich, so Wirtschaftsstadtrat Joachim Zeller (CDU), darauf vor, sowohl dem Großmarkt gegenüber als auch den Senat auf die Besonderheiten des Standortes hinzuweisen „und stadtplanerische Rahmenbedingungen“ geltend zu machen. Zwar suggeriert Foidl auf der Internetseite des Großmarktes sogar noch einen Weiterbetrieb („Für die Markthallen besteht die größte Überlebenschance, wenn sie schnellstmöglich in neue Betreiberhände übergehen.“), dass neue Betreiberhände die Arminius-Halle als Markthalle führen werden, ist allerdings eher unwahrscheinlich. Doch alles Spekulieren hilft nicht. Wir sind gespannt, wer sich für die Immobilie interessiert. Und was immer geschieht oder nicht geschieht – es wird große Auswirkungen auf diesen Teil Moabits haben. Denn die Markthalle ist nicht nur eine besonders schöne und deshalb besonders interessante Immobilie, sondern auch eine besonders große, sie nimmt, wie gesagt, einen ganzen Baublock hinterm Rathaus ein.
Text: Burkhard Meise, zuerst erschienen in stadt.plan.mitte, Nr. 59, Mai 2008
lesen Sie auch das Portrait von Fred Leist, der in der Markthalle Groschenromane tauscht.
Nachtrag:
Lange dauerte die Diskussion um die Belebung der Markthalle durch die Zunft AG, erst überwog Skepsis, wie auf dem Vilmoskörte-Blog, nach der Diskussionsveranstaltung im März oder auch noch im Artikel der Berliner Woche vom 23. Juni 2010, später aber zeigte sich, dass das Konzept Rücksicht nimmt auf die Händler, so dass die meisten bleiben können. Es wird bei laufendem Betrieb umgebaut. Die Skepsis weicht immer mehr der Spannung auf die Eröffnung und der Zustimmung, wie in der Berliner Woche vom 22. September 2010. Hier eine Mieterliste auf dem Die Zunft[halle] Arminiushallen--Blog. Nun sind wir gespannt auf den Eröffnungstag 20. November (Programm s. Kommentar Nr. 39): hier ist die Einladungskarte und das 28seitige Hallenbrevier (1,15MB) herunterzuladen. Zur Eröffnung als Zunfthalle ist jetzt ein neuer Artikel erschienen.