„Das Wohnungsproblem brennt überall unter den Nägeln“

Ephraim Gothe (SPD) ist seit 2012 Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt. Zuvor war der Stadtplaner Stadtrat für Stadtentwicklung im Bezirk Mitte.

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Herr Gothe, bevor Sie vor zwei Jahren Staatssekretär wurden, hatte Berlin nach offiziellen Angaben der früheren SPD-Senatorin Junge-Reyer über viele Jahre noch 100.000 leerstehende Wohnungen. Jetzt herrscht plötzlich akute Wohnungsknappheit. Was haben Sie angestellt? (lacht)
Die damalige Leerstandszahl stützte sich auf alte Zahlen von Vattenfall, die stillgelegte Stromzähler registriert hatten. Aber momentan steigt der Zuzug nach Berlin stetig. 2010 wuchs Berlin um 20.000 neue Einwohner, 2011 waren es bereits 40.000. Im Jahr 2012 kamen weitere 49.000 neue Einwohner. Wir haben derzeit eine starke Zuwanderung aus der Europäischen Union, dabei spielt natürlich die Wirtschaftskrise in den südlichen Ländern eine Rolle. Aber auch viele junge Erwachsene aus ganz Deutschland kommen nach Berlin, um hier eine Ausbildung zu machen und ins Berufsleben zu starten. In der Stadt entstehen derzeit viele neue Jobs, auch durch Start-Ups – hier steht Berlin unter den Bundesländern mit deutlichem Abstand vor Hamburg und Bayern. Die internationale Anziehungskraft der Stadt resultiert sicher auch aus ihrem Image. Außerdem ist seit Kriegsende der Wohnflächenverbrauch pro Person kontinuierlich gestiegen. Es gibt beispielsweise immer mehr Single-Wohnungen. Auch das spielt eine große Rolle für den Wohnungsmarkt: Man braucht mehr Wohnungen für die gleiche Anzahl von Menschen. In den letzten Jahren ist es aber zu einer interessanten Kehrtwende gekommen: In sieben Berliner Bezirken ging erstmals der Wohnflächenverbrauch pro Kopf zurück. Auch das ist ein starker Hinweis auf einen angespannten Wohnungsmarkt: Den mehr als 100.000 Neu-Berlinern der letzten drei Jahre stehen nur rund 25.000 neu gebaute Wohnungen gegenüber. Die Leerstandsreserve, die Berlin einmal hatte, ist aufgebraucht.

Zum anderen wächst der Anteil der Älteren, die ihre zu groß gewordene Wohnung gern gegen eine kleinere tauschen würden, beispielsweise, weil die Kinder ausgezogen sind. Doch angesichts des Wohnungsmarkts können sie das nicht, weil es kaum noch kleine Wohnungen gibt, die preiswerter sind als ihre bisherige große Wohnung.
Dieses Problem haben wir im „Mietenbündnis“ mit den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften diskutiert und gemeinsam beschlossen, dass sie ihren Mietern den Tausch kleinerer Wohnungen zu vergleichbaren Mieten ermöglichen sollen. Wenn das in der Praxis nicht funktioniert, bitte ich um Mitteilung!

Im „Mietenbündnis“ mit den Wohnungsbaugesellschaften werden diese angesichts der neuen Wohnungsnot ausdrücklich aufgefordert, auch Mietshäuser von anderen Investoren anzukaufen. Funktioniert das?
Ja, und zwar in großem Stil! In den letzten 16 Monaten wurden auf diese Art insgesamt über 14.000 Wohnungen kommunalisiert, auch in der Innenstadt, zum Beispiel in Moabit oder Nord-Neukölln. Das schafft zwar keinen neuen Wohnraum, aber es stärkt die Marktmacht der Stadt, vor allem in solchen Gegenden, wo bislang kaum kommunale Wohnungsbaugesellschaften aktiv sind. Wir haben uns dabei übrigens an Paris orientiert, wo das schon länger geschieht.

Das ist ein bemerkenswerter Vorgang, nachdem seit den 1990er Jahren die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften genötigt waren, Wohnungsbestände zu verkaufen, um ihre „Altschulden“ zu tilgen. Außerdem wurden sie durch den Senat gezwungen, durch „In-sich-Verkäufe“ die Zahl der Gesellschaften zu reduzieren und damit dem Senat Geld in die Tasche zu spülen. Auf diese Weise wurde die Zahl der Gesellschaften auf sechs reduziert.
Ja, das alles ist geschehen. Aber fast alle Wohnungsbaugesellschaften stehen mittlerweile wirtschaftlich sehr solide da und haben damit den Vorteil, dass sie bei den Banken schnell auch große Kredite bekommen können. Gerade bei größeren Verkäufen, wo etwa ein Investor in Schwierigkeiten gekommen ist und auf einen Schlag große Bestände loswerden will, gibt es nicht viele potentielle Käufer, die das schnell stemmen könnten. Teilweise ging es um mehr als tausend Wohneinheiten auf einen Schlag, die zu sehr günstigen Preisen erworben werden konnten. Spitzenreiter dabei ist die GEWOBAG, die beispielsweise auch in Moabit größere Bestände erworben hat. Attraktiv sind aber auch einzelne Mietshäuser in Sanierungsgebieten, wo ja nach dem Sanierungsrecht sowieso nur zum Verkehrswert veräußert werden darf.

Viele derjenigen, die die Berliner Miet- und Wohnungsnot beklagen, verteidigen gleichzeitig vehement Freiflächen – und damit potentielle Wohnungsbauflächen wie das Tempelhofer Feld oder am Mauerpark. Wie wollen Sie mit diesem Dilemma umgehen?
Vor allem mit Kommunikation! Die derzeitige Wohnungsknappheit lässt sich nur mit Neubau beheben. Auch wenn einige das anders sehen: Auch solche begehrten innerstädtischen Lagen müssen genutzt werden – sonst wendet sich der Wohnungsmarkt mit einer brutalen Verdrängungslogik gegen die Mieter der Bestandswohnungen. Wir dürfen aber nicht nur den Neubau von Eigentumswohnungen zulassen, wie es die meisten privaten Investoren am liebsten hätten, vor allem in den attraktiven Innenstadtlagen. Städtebaulich wäre das eine Fehlentwicklung, das wissen wir von Hamburg oder München. Wir wollen keine sozial entmischten Quartiere, auch keine, in denen ausschließlich Vermögende leben. Deshalb kämpfen wir bei jedem Neubauquartier darum, dass auch Mietwohnungen entstehen, möglichst auch für Mieter mit geringem Einkommen. Dafür haben wir jetzt ein neues Förderprogramm für den Sozialen Wohnungsbau aufgelegt: rund 1.000 Wohnungen pro Jahr könnten damit entstehen. Das klingt wenig, ist aber angesichts der finanziellen Verhältnisse der Stadt nicht anders möglich. Im Mauerpark beispielsweise haben wir mit dem Investor einen Anteil von 25% sozialem Wohnungsbau vereinbart, der durch Genossenschaften oder Bauherrengemeinschaften realisiert werden soll. Dabei spielen inzwischen alle Bezirke und auch alle Parteien mit: Das Wohnungsthema brennt ja überall unter den Nägeln. Auch in Moabit entstehen in der Lehrter Straße und der Heidestraße derzeit neue Quartiere. Im Wedding gibt es dafür mehr Baulücken, auf denen Wohnungen entstehen können. Insgesamt haben wir im „Stadtentwicklungsplan Wohnen“ für Berlin ein Neubaupotential von 200.000 Wohnungen nachgewiesen. Wir müssen also noch nicht an Industrieflächen herangehen.

Eine Internationale Bauausstellung 2020 ist nun abgesagt, der Senat hat die Finanzierung gestrichen. Bedauern Sie das?
Leider ist die IBA 2020 vom Tisch. Aber das Thema, nämlich die Entwicklung urban gemischter Räume für Wohnen und Arbeiten auch in den äußeren Bereichen der Stadt, ist es nicht. Es wäre natürlich schön gewesen, über finanzielle Mittel zu verfügen, um die notwendigen Debatten über dieses komplizierte Thema zu organisieren. Wir merken derzeit in Berlin sehr deutlich, dass vor allem die Gebiete boomen, in denen eine Mischung von Wohnen und nicht-störendem Gewerbe stattfindet: etwa in den gründerzeitlichen Arbeiterquartieren von Kreuzberg mit seinen Gewerbehöfen, oder in Prenzlauer Berg mit den ehemaligen Brauereien und Industriebauten. Es ist aber ausgesprochen schwierig, solche funktional gemischten Strukturen der berühmten „Berliner Mischung“ neu aufzubauen. Da ist vieles sehr blockiert, die räumliche Trennung von Arbeiten und Wohnen ist ja bis ins Baugesetzbuch und viele Verordnungen verankert.

Mehrere Gesetze und Verordnungen zum Schutz bezahlbaren Wohnraums stehen jetzt an. Gelten die dann für ganz Berlin oder nur für die Innenstadt?
Nach der Sommerpause wird das Abgeordnetenhaus über den Gesetzesentwurf zum Zweckentfremdungsverbot beraten, den der Senat bereits im Mai verabschiedet hat. Wenn das Abgeordnetenhaus dem Gesetz zustimmt, werden wir eine entsprechende Verordnung erlassen. Dann wird in Berlin Wohnraum wieder unter Schutz gestellt: Die Umnutzung als Gewerberaum oder als Ferienwohnung wird dann nur mit der Genehmigung der Bezirke möglich sein, ansonsten drohen Strafen. Bestehende gewerbliche Mietverträge wären aber bis zu deren Auslaufen geschützt. Bei der Vermietung von Ferienwohnungen soll eine Übergangsfrist von zwei Jahren gelten. Das Abgeordnetenhaus wird über die Vorlage beraten, möglicherweise ergeben sich auch noch Änderungen. Wir planen aber, die entsprechende Verordnung für ganz Berlin zu erlassen. In der Debatte im Vorfeld war ja häufig nur von der Innenstadt die Rede. Wir sind aber nach vielen Gesprächen zur Auffassung gekommen, dass in ganz Berlin der Wohnungsmarkt angespannt ist. Auch in Hellersdorf oder Spandau steigen die Angebotsmieten. Vor allem muss man die Mieten in Relation zu den Durchschnittseinkommen in den entsprechenden Vierteln setzen. Wir haben ein Indikatorensystem entwickelt und festgestellt, dass derzeit der Wohnungsmarkt nur noch in sehr wenigen Quartieren nicht angespannt ist. Die rechtfertigen jedoch keine Sonderregeln. Für ganz Berlin gilt inzwischen auch die „Kappungsgrenzen-Verordnung“, die wir schon in Mai erlassen haben. Damit wird der Spielraum für Mieterhöhungen von 20% auf 15% innerhalb von drei Jahren gesenkt. Demnächst werden wir außerdem die Sperrfristen bei Eigenbedarfskündigungen für ganz Berlin verlängern. Gegenwärtig darf in sechs Berliner Bezirken Mietern in Wohnungen, die zu Eigentumswohnungen umgewandelt wurden, nach sieben Jahren gekündigt werden, in anderen Bezirken gilt eine Frist von nur drei Jahren. Wir wollen jetzt zehn Jahre Sperrfrist für ganz Berlin. Mit einer Umwandlungsverordnung haben wir uns bei unserem Koalitionspartner aber bisher noch  nicht durchsetzen können. In Hamburg hat man damit recht gute Erfahrungen gemacht: Mit ihrer Hilfe kann man in festgesetzten Milieuschutzgebieten die Umwandlung von Eigentumswohnungen für mehrere Jahre untersagen. Das hält zumindest diejenigen Spekulanten draußen, die nur auf den schnellen Gewinn aus sind, was die Situation sehr beruhigen kann.

Wer soll in den Bezirken aber diese Verordnungen umsetzen? Die Stadtplanungsämter sind doch schon jetzt überlastet.
Die Bezirke brauchen dringend mehr Personal in den Stadtplanungs- und Wohnungsämtern - deutlich mehr Neubauten verursachen in der Verwaltung mehr Arbeit, und wir brauchen deutlich mehr Neubauten! Wir schlagen bis zu sechs zusätzliche Stellen pro Bezirk vor. In dem mit dem Finanzsenator abgestimmten Haushaltsentwurf des Senats ist das allerdings noch nicht ablesbar: Der Vorschlag betrifft ja nicht die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, sondern die Bezirke. Deshalb sollten diese sich noch in die Beratungen entsprechend einbringen, und auch das Berliner Abgeordnetenhaus sollte Wert darauf legen, den Entwurf nachzubessern.

Interview: Christof Schaffelder, Ulrike Steglich, Foto: Tanja Schnitzler

Zuerst erschienen in der ecke turmstraße, Nr. 6 - september 2013. Lesen Sie auch: "Optimistischer Blick in Moabits Zukunft" von 2007

Nachtrag 2015:
Vorstellung der Wohnungsbaupotentialanalyse für Moabit im Stadtteilplenum Februar 2015.

Rundgang zu Orten, auf denen Neubau von Wohnungen möglich wäre (Berliner Woche).

Nachtrag 2017:
Am 1. Dezember 2016 organisierte der Moabiter Ratschlag e.V. ein Stadtgespräch zum Thema "Wohnraum für alle! Wie schaffen wir das?" mit Katrin Lompscher, Ephraim Gothe und Frank Bertermann. Ein zusammenfassender Film ist jetzt online!

http://www.dailymotion.com/video/x5a23ia

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