Christine Haberstock und das Atelier 5

Mit Kunst die Welt verbessern
Seit 13 Jahren lebt und arbeitet Christine Haberstock in Moabit und zwar im Haus und in der Fabrik ihrer Großeltern. Geboren und aufgewachsen ist sie in Kapstadt, Südafrika. In das Land, in dem die diesjährige Fußballweltmeisterschaft ausgetragen wurde, waren ihre Eltern in den 1950er Jahren ausgewandert. Heute sagt sie: “23 Jahre bin ich schon aus Südafrika fort, eine ebenso lange Zeit habe ich dort gelebt. Ich fühle mich diesem Land sehr verbunden, vielleicht führt mich ein Weg dorthin zurück.“ Was Haberstock am meisten vermisst, ist der Ocean. Auch später hat sie immer am Meer gelebt, in Australien oder Kalifornien. Und dann Moabit? “Das erste halbe Jahr war schrecklich, so grau und kalt. Einen Wintermantel? So was kannte ich gar nicht.“ Heute ist sie in Moabit fest verwurzelt, wobei sie die Sommerferien mit ihren Töchtern gerne in Umbrien, Italien verbringt oder ihre Schwester auf deren Olivenfarm in Neuseeland besucht.
An Moabit liebt sie die Ursprünglichkeit und bunte Vielfalt der Menschen, hinter deren oft ruppiger Art sich meist ein großes Herz verbirgt. Sie liebt die Fabrik ihrer Großeltern (siehe unten), hat mit der Sanierung des Hauses aber auch eine verantwortungsvolle Aufgabe übernommen. Manche werfen der Künstlerin mit dem schnellen Strich - „es ist ein Geschenk, dass ich ihn habe!“ - vor, dass sie Kommerz mache und nicht Kunst. Das versteht sie nicht. Warum soll Kunst besser sein, wenn man nicht von ihr leben kann? Haberstock hat Erfolg, das ist schon seit Amerika so. Dort hat sie Erfolg gelernt.
Großformatige weibliche Akte hängen in Hollywoodvillen wie der von Bruce Willis und Michael Douglas, bei Linda Evangelista ein Bild mit Sonnenblumen. Sie hat den Buddy-Bär fürs Olympiastadion gestaltet, Bücher illustriert und CD-Cover entworfen. Besonders schöne Beispiele: “Kosmo und Klax“ und “Sängerinnen des 20. Jahrhunderts“. Ihre Bestseller sind die “Cigar Beauties“, gemalt auf Zedenholzblättchen aus leergerauchten Zigarrenkisten.

Trotz Erfolg vieler ihrer Ausstellungen - sei es am Kudamm, in Düsseldorf, München oder international - stellt sie fest: die weltweite Finanzkrise ist zu merken, das Geld sitzt nicht mehr so locker. Deshalb sucht sie immer wieder nach neuen Einfällen, hat Freskenmalerei gelernt für Italien, eine neue Schokoladenmarke und Heimtextilien kreiert. Für ihre neueste Ausstellung zur Eröffnung der neuen Fabrik von Priedeman bemalte sie Fenster aus Berliner Altbauten mit Hinterglasmalerei (siehe Bild rechts). Die Firma Priedemann stellt Fassaden her, die energieeffizient und recycelbar sind. Haberstock hat seit Amerika auch immer wieder soziale Kunstprojekte verwirklicht: mit Strafgefangenen Wände gestaltet und mit Berliner Kindern Bühnenbilder für die Komische Oper gemalt.
Im Projekt “Brücke New York-Berlin“ bemalten 1000 amerikanische Kinder, die nach 9/11 auf Einladung Gerhard Schröders gekommen waren, mit ihr eine große Wand. Seitdem hängt ein Bild von ihr im Kanzleramt. Auch bei den Berliner Märchentagen ist sie regelmäßig dabei. An ihre Atelierwand hat sie den Spruch “a loaded gun won‘t set you free!“ geschrieben. Haberstock ist überzeugt: “Gerade die Kunst kann Schönheit und Glück ins Leben der Menschen bringen.“
Die Brotfabrik in der Stendaler Straße 5 – jetzt das Künstlerhaus „Atelier 5“
1946 konnte Christine Haberstocks Großvater, Kurt Funk, Philosoph, Dichter, Politiker, Widerstandskämpfer, mit einem Darlehen von jüdischen Überlebenden die Brotfabrik Cortz im 2. Hinterhof der Stendaler Straße 5 kaufen. Dieser Bäcker warb ähnlich wie die später bekannte Paechbrot-Fabrik mit gereimten Zweizeilern wie: „Allerorts - Brot von Cortz“.
Während in den oberen Stockwerken gebacken wurde, eröffneten Haberstocks Großeltern eine Destillation in den Kellergewölben. Der Alkohol wurde vom Staat eingekauft und dann zu schmackhaften Likören und Wiskey verarbeitet. Verkauft wurden sie im Ladengeschäft an der Stendaler Straße. Wer genau hinschaut kann über dem Kinderladen „Sonnenstern“ noch ganz dünn die alte Schrift „Artus Liköre“ erkennen. Die Besitzer wurden wohlhabend und kamen fast jedes Jahr für zwei Monate mit einem großen Schrankkoffer nach Südafrika auf Familienbesuch. Haberstock erinnert sich, wie Großvater immer mit einem gepünkteten Taschentuch an der Reling winkte, wenn das Schiff nach mehrwöchiger Fahrt von Hamburg oder Bremen in den Kapstädter Hafen einlief.
Seit 13 Jahren ist in der Brotfabrik das Künstlerhaus „Atelier 5“ beheimatet. Zur Zeit sucht das Erdgeschoss einen neuen Mieter. Alle Künstler_innen beteiligen sich an den Moabiter Kulturtagen „Inselglück“ und laden jährlich zum Sommerfest in den Hof und ihre Räume ein.
Das 13. Sommerfest des Atelier 5 findet am 4. September 2010 statt.
Lesen Sie auch das Interview mit Haberstock in der Freundin von Anne Aichmann.

Dieser Text ist zuerst erschienen in LiesSte, Zeitung für den Stephankiez, Juli 2010 Fotos: Babara Dötsch, Christine Haberstock und Susanne Torka