Casino Boom?
Früher waren es die Spielhallen, heute sind es die Automatencasinos - Anwohnern und Kommunalpolitikern ein Dorn im Auge. Wird doch vermutet, dass sie als Geldwaschanlage dienen können, kriminelle Elemente anziehen und erste Indikatoren für den Verfall eines Viertels darstellen. Nun ist Moabit weit von einem Rotlichtviertel entfernt, wie es sich in vielen Städten um einen Bahnhof gebildet hat. Dazu fehlt eben das Bahnhofsviertel und man würde in der Nähe der Regierung schon dafür sorgen, dass es nicht soweit kommt. Zwar existieren vereinzelte kleine Wohnungsbordelle, die es auch schon lange vor der Eröffnung des Hauptbahnhofs gab. Doch stören diese in der Regel meiner eigenen Erfahrung nach wenig. Meine Kinder gingen jahrelang in einen Kinderladen - das Etablissement direkt nebenan fiel nur durch die rote Lampe im Fenster auf, sonst nicht. Könnte sich das ändern? Manche warnen davor, dass der Straßenstrich am Nordhafen sich ausweiten könnte, ich halte ihn für marginal.

Mich stört die Zunahme der Automatencasinos an der Turmstraße und in den Seitenstraßen, die mit schillernd verklebten Scheiben, Gelaxien des Glücks symbolisierend, und 23 Stunden Öffnungszeiten auf zahlende Glücksritter waren. Warten sie wirklich auf Kunden? Oder tun sie nur so? Jedenfalls habe ich Turm / Ecke Wilsnacker Straße noch nie jemanden hineingehen sehen - nur einen Fensterputzer bei der Arbeit. Diese Ecke ist mir zuerst aufgefallen. Das Haus wurde saniert, das Moabiter Leihhaus zog vom ersten Stock in den Laden an der Turmstraße. Christian Lohmann, der Chef des Leihhauses, ist auch der Hausbesitzer. Seine Angestellte versicherte mir, er hättte sich auch einen anderen Mieter gewünscht. Die Ecke hätte sich doch hervorragend für ein Straßencafé geeignet, warf ich ein. "Nein, Gastronomie war ausgeschlossen, mit Rücksicht auf die Mieter des Hauses." Das ist natürlich auch ein Argument. Es hätte sich leider niemand gemeldet, dessen Geschäftsidee erfolgversprechend aussah. Und den x-ten Friseur, Bäcker, Internetshop oder Spätkauf, von dem man befürchtete, dass er nach einigen Monaten wieder geschlossen wird, hätte man nicht nehmen wollen. Hier hat man wirklich monatelang gesucht, das war zu sehen. Aber ehe der Ladenn noch länger leersteht, habe man sich für die Vulkan-Stern-Automatencasino-Kette entschieden, deren Läden nicht nur in ganz Berlin wie Pilze aus dem Boden schießen, z.B. am Nettelbeckplatz und gleich nebenan in der Lübecker Straße.

In Neukölln, Charlottenburg-Wilmersdorf und Tmepelhof-Schöneberg sind bereits Kommunalpolitiker auf den Plan getreten, die versuchen wollen mit Hilfe des Baurechts die Casino-Flut einzudämmen. Das scheint aber wohl nicht ganz leicht zu sein, zumal der Senat, wie aus einem Tagesspiegel-Artikel hervorgeht nicht unbedingt am gleichen Strang zieht. Streit vor Gericht gibt es in Neukölln, wo Betreiber gegen den Bezirk klagen. Es wird vermutet, dass ein Grund für die Ausweitung der Casinos in Berlin im geänderten Gesetz in Russland zu suchen ist. Dort ist seit dem 1. Juli 2009 das Glücksspiel generell verboten. Ausnahmen gibt es nur in wenigen Orten, die weit weg von Moskau liegen. Eine Maßnahme gegen die zunehmende Spielsucht.

Bevor jemand ein Automatencasino eröffnen kann, braucht er eine Genehmigung vom Wirtschaftsamt für den Betrieb der Vergnügungsstätte. Das Wirtschaftsamt erkundigt sich beim Stadtplanungsamt, ob dagegen baurechtliche Bedenken bestehen. Abhängig von der Größe sind Spielhallen nicht überall erlaubt. Es kommt darauf an, was der entsprechende Bebauungsplan (B-Plan) aussagt, in ihm können Vergnügungsstätten generell ausgeschlossen sein, wie in den um 1990 festgesetzten B-Plänen rund um die Turmstraße. Ist kein B-Plan aufgestellt, kann es für das Amt schwierig werden eine Genehmigung zu verweigern. Mitarbeiter der Verwaltung haben aber auch schon die Erfahrung gemacht, dass selbst ohne Genehmigung Casinos eröffnet werden. Da es ziemlich unübersichtlich ist, welches Baurecht wo gilt, möchten wir empfehlen, wenn in der Nachbarschaft ein neues Automatencasino eröffnet wird, in jedem Fall beim Stadtplanungsamt nachzufragen, ob es auch wirklich genehmigt wurde.

Nachtrag vom 7.8.09:
Aus der BVV Mitte werden folgende Dokumente zum Download zur Verfügung gestellt: Auszug aus dem Protokoll des Wirtschaftsausschusses vom 22.6.09, als der frühere Stadtrat Lamprecht eingeladen war (siehe Kommentar von Frank Bertermann) und die Stellungnahme des Stadtplanungeamtes zum Antrag der CDU.
Nachtrag vom 16.9.09:
Die Antworten der Abteilung Stadtentwicklung waren leider nicht so richtig tiefgehend, es hieß zumeist für die Etablissement gäbe es schon alte Genehmigungen, die nur wieder neu aufleben. Doch vielleicht ist das Geschäftskonzept doch kein Selbstläufer, denn überall in den Briefkästen waren Werbeflyer zu finden, die auch auf der Turmstraße von vier jungen Damen mit Luftballons verteilt wurden.
Nachtrag vom 18.6.10:
Hier sind sämtliche Anträge und Anfragen, die bei der thematischen Stunde der gestrigen BVV besprochen wurden.
Nachtrag vom 29.9.10:
Ein Bericht über das Stadtteilplenum am 21.9.10 in Moabit-West, das zum Thema Spielhallen diskutierte, ist hier und hier zu finden. Es hat sich eine Arbeitsgruppe im Rahmen des QM zusammengefunden. Auch die Berliner Woche vom 29.9.2010 berichtete.
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Hier kann eine Online-Petition zur Spielhallenregulierung unterschrieben werden, bei der bemerkenswerte Kommentare abgegeben werden.
Berliner Abendblatt vom 20.11.2010 "Spielverderber machen mobil". Bürger und Parteien fordern neue Gesetze gegen die Spielhallen-Flut" und ein Interview mit früheren Spielsüchtigen, die etwas gegen die Sucht unternehmen, aus derselben Ausgabe. Auch die Berliner Woche berichtete.
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In der Sitzung des Stadtentwicklungsausschuss der BVV vom 1.12.10 wurde über die Umstellung des Baunutzungsplanes auf aktuelles Bauplanungsrecht berichtet. Dabei geht es um Spielhallen und großflächige Einzelhandesflächen. Hier der entsprechende Auszug des Protokolls.
Zur Verabschiedung des Spielhallengesetzes: Artikel in der Berliner Woche vom 18.5.2011
Weitere Nachträge werden beim aktuelleren Spielhallen-Artikel eingestellt.