Bibliotheken in Moabit/Hansaviertel - Interview mit Sabine Weißler

Anfang Juni brachte die SPD-Fraktion einen Antrag (Drs. 0368/IV) in die BVV Mitte ein, mit dem sie eine neue zentrale Stadtbibliothek an der Turmstraße in Moabit forderte und dafür sowohl die Hansa- als auch die Bruno-Lösche-Bibliothek zur Disposition stellte. Dieser Antrag wurde zwar knapp zwei Wochen später wieder verändert - jetzt war nicht mehr von Schließungen die Rede - doch ist die Aufregung und der Ärger in der Bevölkerung und selbst in der eigenen Partei groß (Stellungnahmen der Abteilungen Hansaviertel (gibt's wohl nicht mehr), Bellevue und Alt-Moabit). Bis jetzt hat die BVV Mitte über den Antrag noch nicht entschieden.
Die drohende Schließung der denkmalgeschätzten Hansa-Bibliothek hatte natürlich angesichts der Diskussion das Hansaviertel in das UNESCO Weltkulturerbe aufzunehmen einen Sturm von Protesten hervorgerufen (der Tagesspiegel berichtete). Almuth Berthold hat eine Online-Petition ins Leben gerufen, bei der in kurzer Zeit 2.356 Unterschriften gesammelt wurden. Die Kommentare dazu kann man noch nachlesen. Die Schriftstellerin Sarah Khan hat unermüdlich an der Protestkampagne mitgearbeitet. Auch der Bürgerverein Hansaviertel und viele andere sind sehr engagniert, eine Schließung zu verhindern. Gestern sammelte Bündnis 90/Die Grünen auf dem Ökomarkt im Hansaviertel "Kakteen für die SPD", die mit Protestnotizen als stachelige Argumente übergeben werden. Die hohen Besucherzahlen (Kleine Anfrage 0129/IV) und Ausleihmengen der Bibliotheken bringen dem Bezirk Geld ein, was Schließungsabsichten noch unerklärlicher macht.
Die Bruno-Lösche-Bibliothek steht vielleicht auch mangels prominenter Unterstützer weniger im Blickfeld der Öffentlichkeit, obwohl gerade sie eine unverzichtbare kulturelle Institution mitten im Wohngebiet darstellt und ausgezeichnete Projekte zur Hausaufgabenbetreuung anbietet.
Damit die Einleitung hier nicht noch länger wird, möchte ich auf den informativen Artikel der Stadtteilvertretung Turmstraße zu „Bibliotheken in Mitte“ verweisen, über den der Bibliotheksentwicklungsplan des Bezirks und die detaillierte Beantwortung von zwei weiteren Großen Anfragen in der BVV abgerufen werden kann.

MoabitOnline hat mit Sabine Weißler, der Stadträtin für Weiterbildung, Kultur, Umwelt und Naturschutz (Bü 90/Grüne), über die Situation der Bibliotheken und die Pläne des Bezirksamts gesprochen.
Kommt die Idee für eine Zentrale Bibliothek aus dem Fachamt oder aus den Parteien, die nur noch an die knappen Haushaltsmittel denken?
Ich halte eine Zentralisierung grundsätzlich für sinnvoll. Das heißt aber nicht, dass ich die Hansa-Bibliothek schließen will. Diese Bibliothek ist kein Problemfall sondern wirtschaftlich und von der Substanz her vollkommen in Ordnung.
Ein großes Problem ist allerdings die Bruno-Lösche-Bibliothek in der Perleberger Straße. Sie ist mit 650 m2 einfach zu klein und ich sehe keine Erweiterungsmöglichkeiten an diesem Standort. Sie hat viel zu wenig Kapazitäten für Kinder und Jugendliche. Es war damals ein großer Fehler die Brüder-Grimm-Bibliothek in der Turmstraße 75 zu schließen.
Eine neue Bibliothek an der Turmstraße – vielleicht im Schultheiss-Gelände - wäre schon toll. Wir könnten von Anfang an bestimmen, was wir brauchen und nach zwei Jahren würde es sich lohnen. Doch angesichts der unklaren Haushaltssituation wird daraus nichts. Weil Mitte ein Konsolidierungsbezirk ist, müsste das Abgeordnetenhaus über neue Mietverhältnisse entscheiden. Unsere Situation ist jetzt schlimmer als mit der vorläufigen Haushaltswirtschaft. Wir sind im Moment völlig blockiert und haben keine Chance etwas zu entwickeln.
Das Thema Hansa-Bibliothek ist von den Bezirksverordneten in die Diskussion gebracht worden. Für mich kommt eine Schließung der Hansa-Bibliothek nicht in Frage. Dadurch würde die Zahl der Ausleihen geringer und wir würden weniger Mittel zugewiesen bekommen. Und die Bruno-Lösche-Bibliothek wäre dann natürlich immer noch zu klein.
Könnte man nicht unter den gegebenen Umständen die Situation in der Bruno-Lösche Bibliothek optimieren und vielleicht die Öffnungszeiten am Samstag erweitern oder eine bessere Ausstattung für Kinder und Jugendliches anschaffen?

Seit Juli ist täglich schon eine Stunde länger geöffnet, morgens ab 9 und nicht erst ab 10 Uhr. Alle Bibliotheken haben einheitliche Öffnungszeiten von 9 bis 19:30 Uhr und Samstags bis 14 Uhr. Da sehe ich keine Erweiterungsmöglichkeiten. Neue Möbel für Kinder und Jugendliche helfen auch nicht, es ist einfach zu wenig Platz da.
Die kürzlich neu eingebaute automatische Ausleihe spart einen Mitarbeiter ein. Wie wird dieses qualifizierte Personal für die Arbeit mit den Nutzergruppen eingesetzt?
Es ging bei der Einführung des RFID-Systems nicht darum Personal zu streichen, es wird auch keine ganze Stelle durch die automatische Entleihe ersetzt, auch wenn jetzt nur noch eine Person am Tresen sitzt. Die Bücher müssen ja „hinter der Wand“ wieder einsortiert werden. Doch im Ganzen haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr Zeit für Beratung.
Das Haus Havelberger Straße 2 wurde vor kurzem vom Liegenschaftsfonds an einen privaten Investor verkauft, hier sollen Studentenwohnungen entstehen. Auf demselben Grundstück liegt die Bruno-Lösche-Bibliothek und es gibt noch Platz für einen Neubau an der Perleberger Straße. Bietet diese neue Situation nicht die Möglichkeit, dass die Bibliothek am jetzigen Standort erweitert werden könnte? Ein neuer Anbau, den der Bezirk mieten könnte, wäre doch möglich?
In der jetzigen Haushaltssituation wäre es genauso wenig möglich einen Erweiterungsbau zu mieten, wie eine neue Bibliothek an der Turmstraße. Der Bezirk ist sozusagen in einer „Ganzkörperklemme“ wie es bei Harry Potter so schön heißt.
Mindestens ebenso große Sorgen bereiten mir die Senatsvorgaben zur Personaleinsparung. Bis 2016 soll das Bezirksamt Mitte 243 Stellen abbauen. Das trifft Bildungseinrichtungen wie Bibliotheken besonders schwer. Bis Mitte/Ende Oktober muss im Bezirk dafür ein Konzept erarbeitet werden. Auch diese Personaleinsparungen zwingen uns zur Konzentration auf die Hansa-Bibliothek und zum Verzicht auf einen ausreichend großen Standort in zentraler Lage für die Bruno-Lösche-Bibliothek.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch führte Susanne Torka, das Foto von Sabine Weißler hat Gerald Backhaus aufgenommen.
Nachträge:
Offener Brief des Fördervereins Stadtbibliothek vom 5. November an die Bezirksverordnetenversammlung.
Das Hausaufgabenhilfeprojekt "Sprich mit mir" läuft 2013 weiter, finanziert durch die Robert-Bosch-Stiftung. Immer dienstags und donnerstags von 15 bis 18 Uhr.
Die Schließung der Hansabibliothek ist endgültig vom Tisch, aber um einen neuen Standort auf dem Schultheiss-Gelände will sich Frau Weißler kümmern, das wäre in unmittelbarer Nähe der Bruno-Lösche-Bibliothek (s. Artikel in der Berliner Woche)
Pressemitteilung des Bezirksamts zur Reduzierung der Öffnungszeiten der Kurt-Tucholsky-Bibliothek und der in Tiergarten-Süd auf nur noch wenige Stunden in der Woche. Das ist wirklich katastrophal, siehe auch Kommentar Nr. 16.
Beteiligen Sie sich an der Unterschriftensammlung des Moabiter Ratschlags, hier: Unterschriftenliste.
Kurzbericht der Berliner Woche. Ausführlicher Artikel zu drohenden Sparmaßnahmen in Bezirksbibliotheken im Tagesspiegel.
Das Bezirksamt plant die "schrittweise Rückkehr zu den gewohnten Öffnungszeiten" ab 8.4. (Pressemitteilung)
Es sieht so aus, als ob das Bezirksamt und die BVV Mitte die Stellenstreichungen, die sie bis 2016 vornehmen müssen, gleichmäßig über alle Ressorts nach der Rasenmähermethode verteilen will. Dadurch aufgeschreckt hat der Förderverein Stadtbibliothek Mitte am 15. April 2013 diesen Offenen Brief an Bezirksbürgermeister Dr. Christian Hanke übergeben (s. auch Kommentar Nr. 35).
Stadträtin Weißler in der Berliner Woche zu den Auswirkungen der Personalkürzungen für Bibliotheken und Volkshochschule.
Ausstellung von Studentenentwürfen für eine fiktive neue Bibliothek auf dem Gelände des Verkehrsgartens (Bericht in der Berliner Woche).
Öffnungszeiten der Kurt-Tucholsky-Bibliothek wieder von Montag bis Donnerstag, 2 Tage decken Mitarbeiter_innen des Moabiter Ratschlags ab.
Im Stadtteilplenum von September 2013 ging es um die Weiterentwicklung der Kurt-Tucholsky-Bibliothek.
Erweiterte Öffnungszeiten der Kurt-Tucholsky-Bibliothek ab 3. Februar: Montag bis Donnerstag 12:30 - 18 Uhr. Aber nur noch am letzten Donnerstag im Monat sind Bibliotheksmitarbeiter da, und nur bei denen können Neuanmeldungen oder Ausweisverlängerungen vorgenommen werden (Pressemitteilung Bezirksamt).
Es sind 2 neue Stellen für Bibliotheken bewilligt, erst mal befristet für 2015 (BA-Beschluss vom 3.2.15).
Passt hier nicht ganz: neuen Nutzungskonzept für die Turmstraße 75 liegt vor (Berliner Woche).
BA-Vorlage vom 26. April 2016 zur Bibliotheksplanung in Moabit und zur Machbarkeitsstudie für eine Erweiterung der Bruno-Lösche-Bibliothek, die erst 2017 in Auftrag gegeben werden kann. Dazu auch ein kurzer Artikel in der Berliner Woche.
Bibliothekentwicklungsplan 2020 veröffentlicht.
Fördermittelzusage für die "Sanierung und den Umbau der Kurt-Tucholsky-Bibliothek zu einem nachbarschaftlichen Bildungszentrum" (Pressemitteilung und Berliner Woche).
Machbarkeitsstudie für die Erweiterung der Bruno-Lösche-Bibliothek (Berliner Woche).
Jetzt ein neuer Plan: zusammen mit der Staatsanwaltschaft soll eine neue Stadtbibliothek an der Turmstraße 23 gebaut werden, möglicherweise fertig in 2024 (Berliner Morgenpost). Hier geht es zum entsprechenden Bezirksamtsbeschluss für die Mittelpunktsbibliothek. Berliner Woche zur Mittelbereitstellung durch Senat.
Die Öffnungszeiten der Kurt-Tucholsky-Bibliothek werden ab 2. Januar 2020 erweitert, der bisherige Schließtag am Freitag entfällt. Die neuen Öffnungszeiten der Kurt-Tucholksky-Bibliothek: Montag bis Freitag von 12.30-18.00 Uhr.
Der Bau der Mittelpunktsbibliothek kann nicht so bald beginnen, denn die Justizverwaltung stoppte den Bau für die Staatsanwaltschaft und auch der Abriss des Parkhauses an Alt-Moabit und ein dort geplanter Neubau wurde gestoppt (Morgenpost). Gute Zusammenfassung auf der Webseite der Stadtteilvertretung Turmstraße. "Eine erste Baurate wird laut aktuellem Investitionsprogramm für 2028 vorgegeben."
Der Tagesspiegel zur Verschiebung der Finanzierung für die Mittelpunktsbibliothek.