Betreute Wohngemeinschaft in neuen Räumen

Ausgerechnet zwei Wochen vor der Geburtstagsfeier ihres 20jährigen Bestehens 2013 flatterte der betreuten Behinderten-Wohngemeinschaft der Tiele-Winckler-Haus GmbH in der Paulstraße 18 ein Brief mit der Ankündigung der Steigerung der Mietkosten um fast das Doppelte ins Haus, was in der Praxis einer Kündigung gleichkommt. Die Paustraße 18 wurde 1992/93 als Sozialwohnungsbau errichtet, dann ist die Anschlussförderung gestrichen worden. Alle Mieter hatten Moderniesierungsankündigungen und Mieterhöhungen nach der Kostenmiete erhalten. Die neue Miete sollte 11,95 Euro pro Quadratmeter betragen, netto-kalt versteht sich. Das konnten sich viele Mieterinnen und Mieter nicht leisten. Einige kündigten und, obwohl der Vermieter, R & W Immobilien, schließlich "nur" 8,65 Euro/qm haben wollte, lehnte er die Rücknahme von mindestens einer Kündigung ab (Info auf der Mietenstopp-Konferenz 2013). Einige wenige Mieter konnten dank der Unterstützung durch die IBB als Härtefall zunächst bleiben.

WG-Turmstrasse-a300

Aber zurück zu der betreuten Wohngemeinschaft: Über ein Jahr lang hat es gedauert, bis sie eine neue Wohnung in Moabit beziehen konnte - in der Turmstraße 63, wieder bei R & W Immobilien. Allerdings musste sich die Tiele-Winckler-Haus GmbH (TWH) mit einer beträchtlichen Summe an den Ausbaukosten der früheren Büroräume beteiligen und letztendlich mehr als die Hälfte davon selbst tragen. Die drei Bewohnerinnen und ein Bewohner sind heute sehr zufrieden. Sie haben mehr Platz als vorher in einem großzügigen Gemeinschaftsraum. Auch Einkaufsmöglichkeiten und Ärzte liegen näher, als am vorherigen Standort. Am 10. Juni 2015 haben sie ein rauschendes Einweihungsfest gefeiert - etwas mehr als ein Jahr nach dem Umzug. So lange hat es gedauert, bis die Baumängel in der Wohnung behoben, sie wohnlich eingerichtet werden konnte und sich die Aufregung durch Wohnungssuche und Umzug einigermaßen gelegt hatte. Und gänzlich verarbeitet haben sie ihre Existenzängste immer noch nicht.

Im Gespräch mit der Betreuerin Anne Schröter-Nieländer, der Regionalleiterin Helena Scherer, und mit einer der Bewohnerinnen, Renate Thielitz, konnte ich einiges über die Geschichte der Wohngemeinschaft, den Schock, den die Kündigung auslöste und die nervenaufreibende und diskriminierende Wohnungssuche erfahren. Frau Scherer arbeitet bereits seit 25 Jahren beim TWH. Sie kennt die beiden ältesten Bewohnerinnen, Renate Thielitz und Gisela Nebel, schon lange und ist mit ihnen 1993 aus dem Heim in die betreute Wohngemeinschaft gezogen. Ein großer Schritt zu mehr Selbstständigkeit für die damals 50jährigen Frauen, die schon als junge Mädchen ins Heim gekommen waren. Auch Frau Schröter-Nieländer ist seit 1993 in dieser ersten Behinderten-Wohngemeinschaft der TWH tätig. Die Bewohnerinnen mussten viele Ängste überwinden, jahrelange Arbeit und Untserstützung war für ihre Integration in das neue soziale Umfeld nötig. Frau Nebel ist seit vielen Jahren in der Kirchengemeinde St. Johannis ehrenamtlich tätig, hat eine sinnstiftende Beschäftigung gefunden und wird dort gebraucht. Ein Umzug außerhalb Moabits oder gar in Berliner Außenbezirke kam daher nicht in Frage.

Aber wie eine neue geeignete Wohnung finden? Mit viel Verhandlungsgeschick und Unterstützung durch Kirche, Diakonie, Behindertenverband und Wohlfahrtsverbände konnte Frau Scherer erreichen, dass die Wohngemeinschaft erst einmal zum alten Preis wohnen bleiben konnte. Am Ende konnte die Unterstützung durch die IBB aus der Härtefallregelung komplett zurückgezahlt werden. Enttäuscht sind die Mitarbeiterinnen der TWH von sämtlichen politischen Parteien. Die Bundes-, Landes- und die Bezirkspolitik hat sich für "nicht zuständig" erklärt, denn juristisch war gegen Mieterhöhung und Kündigung nichts zu machen. Unterstützung gab es von Hildrun Knuth, der Behindertenbeaurtragten des Bezirks, der AG SPAS und der Fachverwaltung des Senats, die die Wohngemeinschaft in den neuen Räumen nach Überprüfung der Räumlichkeiten genehmigt hat, obwohl der Aufzug nur auf halber Treppe ankommt. "Ich war ganz zerknickt", erinnert sich Frau Thielitz noch heute. Sie feiert in diesem Jahr ihren 70. Geburtstag, lebt sein 47 Jahren in der TWH, erst im Heim und seit 22 Jahren in der Wohngemeinschaft: "Da haben wir geweint, wollten nicht mehr verreisen, nichts mehr unternehmen. Carmen war verzweifelt, weil sie schon mal obdachlos war." Die Wohnungssuche brachte neuen Ärger. Noch frisch ist die Erinnerung an eine schöne Wohnung in Charlottenburg, wo der Vermieter unmissverständlich sagte: "Behinderte kommen hier nicht rein in mein Hsus!"

Auch der Umzug selbst war ein Kraftakt, Packen, wochenlang auf gepackten Koffern und Kisten sitzen, sowohl in der alten als auch in der neuen Wohnung. Denn, obwohl klar war, dass der Umzugstermin etwa sechs Wochen vorher geplant werden muss, sah es noch eine Woche und sogar einen Tag vor dem Umzug Anfang Mai 2014 wüst aus. "Zuerst konnten wir nicht kochen", erinnert sich Frau Thielitz, "da sind wir in der Kantine essen gegangen - aus der Haushaltskasse." Es war ein falscher Herd eingebaut worden, den die Bewohnerinnen nicht bedienen konnten, weil er keine Knöpfe für die Regulierung hatte. Drei Monate dauerte es, bis der richtige geliefert wurde. Neue Zimmer einrichten, sich an alles gewöhnen, das hat viel Zeit und Energie gekostet. "Ich bin ein paar Mal aus dem Bett gefallen, weil es jetzt auf der anderen Seite steht", berichtet sie, "aber mein Zimmer ist toll. Wenn ich aus dem Fenster schaue, kann ich Take-Won-Do sehen. Vielleicht probiere ich das auch mal aus." In der neuen Nachbarschaft wurden die Bewohner_innen der Wohngemeinschaft freundlich aufgenommen, besondere Hilfsbereitschaft zeigten die Betreiber der Pizzeria La Mandria, die bereits seit 1979 als Familienbetrieb im Nachbarhaus besteht.

"Wir haben Glück im Unglück gehabt", fasst Frau Scherer die Situation dieser betreuten Wohngemeinschaft zusammen. Denn zur Zeit passiert den meisten sozialen oder Jugendhilfe-Trägern, die Wohnmäglichkeiten für ihre Zielgruppen in Moabit anbieten, das gleiche, ohne dass ein guter Ausgang in Sicht ist. Sobald ein Haus an neue Eigentümer verkauft wird, werden die Verträge gekündigt. Denn in der Regel sind es Gewerbe- und keine Wohnungsmietverträge oder diese werden angefochten, wie in der Stephanstraße 52 geschehen, wo sich das Frauen-Wohnprojekt "Die Zwiebel" gegen Räumungsklagen wehrt. Hier steht die Berufungsverhandlung noch aus. Aber andere Träger mussten bereits Wohnungen aufgeben, wie z. B.  ZIK in der Rostocker Straße 17 oder das Klubheim im der Stromstraße 24.

Nachtrag:
In Steglitz betrifft es eine Demenzkranken-WG, hier die Petition.

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