Am Rand der Berliner Europacity

Am Rand der Berliner Europacity. Ein Gespräch mit dem Künstler Yves Mettler über seine Veranstaltungsreihe rund um die Europacity.

Empfangsstation zum Performance Tag am Europaplatz, 2015 © Yves Mettler


Aktuell entsteht nördlich des Hauptbahnhofes ein neuer Kiez: die Europacity. Das 40 Hektar große Areal zwischen Nordhafen, Heidestraße und Humboldthafen soll ein „Quartier der Zukunft“ werden. Als Leitbild fungiere eine nachhaltige Entwicklung, heißt es auf der Internetseite der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen. Der Masterplan sei in enger Kooperation von Grundstückseigentümer*innen, Projektentwickler*innen, Plane­r*in­nen und Behörden erarbeitet worden, wobei „Nutzungs­viel­falt“ groß­geschrie­ben werde: „Der hochwertige Raum soll unter Berück­sich­ti­gung ökologischer Gesichtspunkte Flächen zum Wohnen, für Büros, Einzel­handel und Gewerbe zur Verfügung stellen und gleich­zeitig ein attrak­tives Frei­zeit­ange­bot bereit­stellen.“[1] Ob diese Qua­dratur des Kreises tat­säch­lich gelingen und sich die ange­strebte Nutzungs­viel­falt wirk­lich ein­stel­len wird, steht in den Sternen. Der Künstler Yves Mettler verfolgt die Ent­stehung des Vier­tels seit Planungs­beginn und hat bereits mehr­mals vor Ort künst­le­rische Inter­ven­tionen realisiert. Zusammen mit Alexis Hyman Wolff und Achim Lengerer konzi­piert er eine Ver­an­stal­tungs­reihe rund um die Europa­city, die im Juli 2018 ihren Anfang nehmen wird – frei nach dem Motto: „Wir wollen für Europa Platz machen.“ Ich sprach mit Yves Mettler über seine Pläne und Beweggründe.

Seit 2003 arbeitest du zum Thema „Europa­platz“ an verschiedenen Orten in ganz Europa und in diversen For­maten wie Aus­stel­lungen, (par­ti­zi­pa­ti­ven) Per­for­man­ces, Inter­ven­tionen und Work­shops. Was war der Auslöser für dieses Interesse?

Der Auslöser war ein Abend auf einer Zugreise, wo ich in wenigen Tagen an vier Bahnhöfen ankam: in Graz, Wien, Mönchengladbach und Lausanne. Vor jedem Hauptbahnhof lag ein Europaplatz. Ich habe mich gefragt, wie Städte damit ihr Verhältnis zu Europa ausdrücken. Seitdem geht es mir darum zu schauen, wie eine Stadt ihre Beziehung zu Europa gestaltet. Europa hat ja einen direkten Einfluss auf unseren urbanen Raum, doch dieser bleibt oft unsichtbar, unbemerkt und vor allem außerhalb jeglichen Einflusses, sei es vom Standpunkt der Bewohner*innen oder von den städtischen Behörden.
Es mag sehr beliebig klingen, aber schlussendlich ist jeder Europaplatz immer gleichzeitig eine symbolische sowie eine konkrete Situation, die verschiedene Funktionen vereint. Diese Situationen kann man ablesen, erzählen und zur Diskussion stellen. Darin bestehen mein Interesse und meine Arbeit mit den Europaplätzen.

Du hast dich in Form eines Workshops (in Kooperation mit Agora 2015) und einer Installation/ Performance (im Rahmen des Future Nows Festivals 2017) bereits mit der entstehenden Europacity beschäftigt. Was hast du jeweils gemacht? Was reizt dich an diesem Ort? Was für gesellschaftspolitische Themen werden an diesem Ort sichtbar, die du gerne sag- und sichtbar machen willst?

Ich habe schon mehrere Bilderserien gemacht und 2015 einen Workshop mit Künstler*innen und Urbanist*innen. Wir haben eine Art offenen Tag der Europacity gemacht, wo es Gedicht­lesungen in verschiedenen Sprachen sowie einen Minidancefloor in einem Transporter, ein Percussions-Konzert mit Material, das wir auf dem Feld fanden, und eine Seedbombwerkstatt etc. gab. Wir haben als künstlerische Forscher*innen das Areal auf verschiedene Weisen untersucht und genutzt.

Am meisten beschäftigt mich, dass es einen Sprung im Maßstab gibt, den ich nicht mehr alleine bewältigen kann. Es ist nicht nur die Frage, ob es eine größere Baustelle ist als der Potsdamer Platz, sondern die Erkenntnis, dass es mittlerweile normal geworden ist, dass solche Baustellen, die ganze Stadtteile umfassen, von privaten Großinvestoren gebaut werden. Unter anderem hat die CA Immo, die Haupteigentümerin der Europacity, noch andere „Europacities“ gebaut, z.B. in Frankfurt [2]. Es ist ein neues Verständnis der Stadt, das in anderen Größenordnungen gedacht wird, und das mit einem bestimmten Denken von Europa in Verbindung steht. Darin sind die Bewohner*innen noch kleiner geworden und keine „Einheiten“ mehr, die eine Bestimmungskraft hätten.

Als ich den Europaplatz 2006 zum ersten Mal sah – es war das Jahr, als der Hauptbahnhof für die WM fertiggestellt wurde und ein Jahr nachdem der Europaplatz seinen Namen erhielt – war er ein großer leerer Kieselplatz, der mit Pollern von Autos freigehalten war. Ich habe mich über diese Leere gefreut, da er eine Einladung schien für temporäre, abwechselnde Veranstaltungen, an einem, wie man sagt, Prime Standort. Ein Ort, der von verschiedenen Bevölkerungsgruppen für verschiedene Veranstaltungen genutzt werden kann. Ein ganz gutes Bild für einen demokratischen Prozess. Nach und nach habe ich gesehen, wie diese Leere zu geplant wurde.

© Yves Mettler

Obwohl der Europaplatz eine zentrale Schnittstelle ist, steht seine Gestaltung in den Sternen und wird am Ende ein Busbahnhof, wenn wir nichts machen. Nördlich vom Europaplatz entwickelt sich seit 2009 die „Europacity“. Natürlich hat mich das angezogen als Erweiterung des Europaplatzes. Dabei interessieren mich folgende Fragen: Wie kann die Zusammenarbeit von Behörden mit Großeigentümern und -Investoren aussehen? Wie soll die europäische Stadt aussehen? Hier geht es auch um Fragen der Mitgestaltung, des geteilten Mitdenkens, des europäischen urbanen Flairs, der an der Vielfalt von Akteur*innen liegt, und der Verantwortung gegenüber den vielen indi­vidu­ellen und kol­lek­ti­ven Geschichten. Es ent­stehen bereits urbane Legen­den, die das Unbe­hagen der Ein­woh­ne­r*in­nen der Europa­city gegenüber wider­spiegeln. Aber es gibt nirgends ein Ohr für dieses Unbe­hagen, da Lebens­grundlagen von vielen Berline­r*innen auf dem Spiel stehen. Die Ver­ände­rungen durch das Bau­vor­haben reichen weit über den Rand der Europa­city hinaus.

Bei meiner Beschäftigung mit diesen Fragen wurde mir klar, dass ich das nicht alleine handhaben kann, und dass ich sicher nicht der einzige bin, den das Viertel juckt. Darum versuche ich jetzt meine Fragen mit anderen zu teilen, mit Einwohner*innen, Behörden und Eigentümer*innen. Vielleicht ist meine Perspektive, die das Projekt mit breiteren, europäischen Werten und Kontroversen verbindet, die Möglichkeit mit einer Vorschlagskraft zu kommen. Perspektivenwechsel sind eine gute Methode, um festgefahrenen Positionen zu entkommen und neue kollektive Vorstellungen für das Zusammenleben zu generieren.

Das Viertel beschäftigt dich weiterhin – wenn ich es richtig verstanden habe, wirst du dort ein Projekt im öffentlichen Raum realisieren. Was hast du vor?

Das Projekt heißt „Am Rand von Europacity“ und entsteht zusammen mit der Kuratorin Alexis Hyman Wolff, die in Bernau und in Kleinmachnow kulturelle Gemeinschaftsprojekte geschaffen hat, dem Künstler Achim Lengerer, der den Projektraum Scriptings im afrikanischem Viertel in Wedding betreibt. Gemeinsam mit weiteren kulturellen Akteu­r*innen und Bewohner*innen werden wir uns dem kollektiven Bewusstsein der neuen Nachbarschaft widmen. Bis Mai 2019 werden wir den Stimmen an der Grenze des neuen Stadtteils zuhören. Die Teilung der Stadt lief ja entlang des Kanals und hat massiv mit der heutigen Situation zu tun. Wir wollen das Thema der Ausgrenzung der inneren Grenzen ausarbeiten und auch Vorschläge formulieren, die zu einer „gesunden“ Beziehung zwischen alten und neuen Nachbarschaften beitragen können.

Künstlerisch geht es ums Zuhören und ums Gehen. Gemeinsam den Rand erörtern und kennenlernen. Zusammen zuhören wie die Zukunft klingt. Was hören wir? Was hören wir nicht? Ein Jahr lang wollen wir mit kleinen Gruppen von Zuhörer*innen und Zugehörten (Sprechenden und zum Ort gehörenden) den Rand der Europacity durch eine Reihe von öffentlichen Spaziergängen erkunden. In einem Jahr werden die Ergebnisse der öffentlichen Forschung dann der Öffentlichkeit vorgestellt und erfahrbar gemacht.

© Yves Mettler

Was hat das mit alles Europa zu tun? Wir denken, dass das Zuhören (und das Teilhaben) viel mit Europa zu tun haben und der Raum für das Zuhören eine Voraussetzung für die Demokratie ist. Dieser Raum muss immer wieder neu gestaltet werden. Die Frage ist: Wo ist dieser Raum in der Europacity? Ob die Europacity zuhören kann oder nicht, hat konkrete Auswirkungen auf die Nachbarschaft und unser Bild von Europa.

Dein Atelier befindet sich in unmittelbarer Nähe zu dem neuen Viertel. Was bewegt dich, wenn du den Bau täglich verfolgen kannst? Was erwartest du persönlich von dem Viertel? Was glaubst du, wie es werden wird?

Ich sehe wie schnell das Areal bebaut wird und wie massiv das Gebaute die Gegend prägt. Das erste Gefühl ist schon ein bisschen ein Gefühl der Ohnmacht. Das Budget für unser Kunstprojekt wird auf dem Gelände wahrscheinlich in ein paar Minuten verschlungen bzw. verbaut. Die Maßstäbe, die die Entwicklung der Europacity bestimmen, wirken unmensch­lich und sind meilenweit entfernt von den Versprechen, die die Stadt, die Deutsche Bahn und die Vivico (heute CA Immo) auf der Standortkonferenz 2009 gemacht haben.

Es ist aber auch aufregend. Es ist nie zu spät sich die Zukunft anders vorzustellen. Und die Vergangenheit. Das Areal war keine leere Wüste. Da war immer wieder einiges los. In unmittelbarer Nähe befinden sich die Ateliers von international erfolgreichen Künstler*innen wie Olafur Eliasson, Thomas Demand, Karin Sander und Katharina Grosse. Es gab den Tape-Club, die Galerie von René Block, Festivals – alles, wofür Berlin steht. Das Areal war da zum Experimentieren. Diesen Geist finde ich inspirierend. Aber in der Öffentlichkeit wurde die Erzählung von der leeren Brache, die endlich belebt wird, propagiert und verdrängte damit die wichtige Rolle, die dieses Gelände für den Aufschwung der Kunst und Clubkultur von Berlin spielte.

Ich erwarte Mut von uns, von der Stadt, von den Eigentümer*innen, auf eine andere Weise Stadt zu erfinden, zu denken, zu leben. Ich denke es ist wichtig Ohr, Augen und Mund aufzumachen. Sobald ein Dialog entsteht, kann ein Zusammensein entstehen.

Link: http://amrandvoneuropa.city/index.html


[1] https://www.stadtentwicklung.berlin.de/planen/stadtplanerische_konzepte/heidestrasse/

[2] http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/frankfurt/martin-wentz-die-fassaden-sind-eine-einzige-katastrophe-15549213.html?GEPC=s2&premium=0x3ce7af7aae4b692732fb6f478459fcba


Gastautorin: Anna-Lena Wenzel, Fotos: Yves Mettler
zuerst erschienen auf der Plattform kultur-mitte.de

Programm Am Rand von EuropaCity

Spaziergänge
Sonntag 5. Juli 14 Uhr,  Treffpunkt: Lehrter Straße Ecke Seydlitzstraße, Bericht #1
Samstag 25. August 14 Uhr, Treffpunkt: Gedenkstätte Günter Litfin, Kieler Str. 2, Bericht #2
Sonntag 30. September 14 Uhr, Treffpunkt: Studio Uwe Bressem, Nordufer 14, Bericht #3

Workshop: 1. Dezember 14-18 Uhr, Kulturfabrik Moabit - Café, Lehrter Straße 35, 10557 Berlin, Bericht #4

Es geht weiter: Plakatkampagne, Sonntag 17. Februar, 15 Uhr + 2 weitere Treffen
Spazieren und Intervenieren im Stadtraum, Sonntag 24. Februar + 2 weotere Treffen
Soundworkshop, Sonntag, 21. April + 3 weitere Treffen (schaut auf die Webseite oder in den Veranstaltungskalender von MoabitOnline)

Nachtrag:
Hier die Dokumentation des Projektes mit vielen Audio-Aufnahmen.

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